15.11.2012 Aufrufe

Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

ideologischer Strömungen, die nur in der Kampfstellung gegen den Liberalismus und Sozialismus<br />

übereinstimmten."<br />

Dagegen ist einzuwenden, daß die Republik nicht an einem Mangel an Eingeständnissen, einem<br />

Mangel an Moralin, einem Mangel an Lichterketten und auch nicht einer Verschwörung antiliberaler<br />

und antisozialistischer Bösewichte zugrunde ging.<br />

Sie ging vielmehr daran zugrunde, daß dieselben Leute, die vor dem Weltkrieg für die Verbreitung der<br />

Lebensreform sorgten, kulturellen und politischen Sonnenkult trieben, den <strong>Neue</strong>n <strong>Menschen</strong><br />

erdachten, Gewalt verherrlichten, eine kalkülunfähige hasardierende Außenpolitik entwarfen, bei allem<br />

die tradierten Grundsätze der praktischen Vernunft leichtfertig über Bord warfen, sich nach dem<br />

Weltkrieg als Ärzte am Krankenbett Deutschlands betätigten, um eben jene Krankheit zu kurieren, die<br />

sie selbst ausgebrütet und verschleppt hatten.<br />

Die Verderber des Neuanfangs waren viel weniger die vielgescholtenen Generäle, Richter und<br />

Beamten des Kaisers, die oft in preußischer Pflichterfüllung eine ungeliebte Republik nach dem<br />

Buchstaben des Gesetzes lustlos oder widerwillig tolerierten, sondern mehr die Eliten der Politik,<br />

Wirtschaft und Kultur. Nicht nur die Ludendorffs, Hindenburgs, Rantzaus und Schleichers verdarben<br />

<strong>das</strong> Land, sondern auch die Rathenaus, Moellendorffs, Wissels, Sombarts und Cunos. Über dem<br />

Wirtschaftsbetrieb Nachkriegsdeutschlands lag immer noch der Mehltau der Kriegswirtschaft und des<br />

Imperialismus und auf den republikanischen Kulturschreinen standen wie vor dem Krieg nackte<br />

Gigantenstelen auf Hakenkreuzdeckchen bzw. neben Hammer- und Sichelstandarten. Auch Fidus,<br />

Gropius, Hesse, Th. Mann, Gropius, Graf Kessler, Rilke, Tucholsky, George, Grosz, Zetkin und<br />

andere Antidemokraten leisteten ihren unheilschwangeren Beitrag zur Sabotage eines Neuanfangs.<br />

Der höhere Beamtenapparat wurde im Laufe der Weimarer Republik personell neu ausgestattet. 1914<br />

war jedes zweite preußische Landratsamt durch Vertreter des Adels besetzt, 1922 war der Adelsanteil<br />

auf 12 % gesunken, 1931 auf 7 %. In der Generalität hatten die preußischen Adligen 1914 einen<br />

Anteil von 70 %, 1921 waren noch 21,7 % adlig und 1930 nach der Verkleinerung der Reichswehr 34<br />

%. Die Zahl der adligen Ministerialbeamten in Preußen schrumpfte von 1914 bis 1931 von 203 auf 34.<br />

Die Zahl der adligen Oberpräsidenten schrumpfte im gleichen Zeitraum von 18 auf 0. Zwei Fünftel der<br />

Polizeipräsidenten wurden durch republiktreue Beamten ersetzt. Neben die preußischen<br />

Berufsbeamten wurden bis 1928 1084 politische Beamte gestellt, von denen 20 % dem Zentrum, 16<br />

% der SPD und 15 % der DDP angehörten. Nur noch in der Richterschaft blieb die Häufung von<br />

Angehörigen der alten Oberschicht weitgehend unangetastet. 214 In der Wirtschaft, in der Kultur und in<br />

den tradierten Parteien dagegen blieben alle auf ihren Pöstchen und Posten, außer denen, die endlich<br />

in Rente gingen oder von Gott selbst von ihrer Tätigkeit abberufen worden sind.<br />

Nicht soviel personelle Erneuerung wie in der Verwaltung gab es in der Wirtschaft. Die wirtschaftliche<br />

Grundlage des Spätkaiserreichs war einerseits aus einer Konstellation gewachsen, als Preußen noch<br />

eine Armee mit Land war, als Waffenmanufakturen staatlich waren. Andererseits zogen die<br />

wirtschaftlichen Verwerfungen ihre Kraft und ihren Bestand auch aus dem ständegesellschaftlichen<br />

Überhang, <strong>das</strong> Träumen von der Kraft der Korporationen des Mittelalters nahm kein Ende. Es war<br />

eine staatlich und planwirtschaftlich beeinflußte Privatwirtschaft, die sich im Krieg zur ausgeprägt<br />

reglementierten Kriegswirtschaft weiterentwickelte. Ausgeprägt reglementiert bedeutet, daß die<br />

Privateigentümer in einem planwirtschaftlichen System nur sehr begrenzt Einfluß auf die Produktion<br />

nehmen konnten. Preise, Mengen, Rohstoffe, Absatz waren wie im Mittelalter bei den Zünften ihrer<br />

Einflußnahme weitgehend entzogen. Sie waren im Weltkrieg Organisatoren des<br />

Produktionsprozesses, die aus einer bestimmten Menge Vorprodukten in einer bestimmten Zeit mit<br />

einer bestimmten Menge Arbeitskräften eine bestimmte Menge Endprodukte zu liefern hatten. Dieser<br />

Typus wurde früher Zunftmeister, später Betriebsführer genannt und noch später unter Walter Ulbricht<br />

Betriebsleiter. Mit dem Begriff des Kapitalismus ist dieses Organisationsverhältnis begrifflich nicht in<br />

Übereinstimmung zu bringen, denn kapitalistisches Eigentum bedeutet Verfügungsgewalt. Verfügt<br />

wurde woanders als in den Betrieben, in übergeordneten Reichsstellen und<br />

Selbstverwaltungsorganisationen, die wiederum den Reichsstellen unterstanden. Das Privateigentum<br />

an den industriellen Produktionsmitteln beweist keineswegs, daß es sich um Kapitalismus handelte.<br />

Privateigentum gab es in Europa seit den Griechen, Römern und Germanen, Privateigentum gab es in<br />

der germanischen Markverfassung, im europäischen Feudalismus und in den Stadtrepubliken<br />

Süddeutschlands. Kein Mensch würde auf die Idee kommen, daß es unter Kaiser Augustus, Karl dem<br />

Großen oder Maria Theresia eine kapitalistische Wirtschaftsordnung gab, für die Kriegswirtschaft von<br />

214 H.-U. Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte 1914-1949, C.H. Beck, München, 2003, S. 326 ff.<br />

146

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!