Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik
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Rassistische Konzeptionen<br />
Auch der Rassismus entstand genauso wie der Antisemitismus nicht im Schnellen Brüter Adolf Hitlers,<br />
war keinesfalls eine Kreation des Nationalsozialismus. Er war im reformistischen Denken der<br />
Kaiserzeit so verbreitet und verwurzelt, wie <strong>das</strong> Haareschneiden oder <strong>das</strong> Rasieren. Nach den<br />
landläufigen Theorien zerfiel die Menschheit in die weiße, die gelbe, die schwarze und die rote Rasse.<br />
Die weiße Rasse umfaßte die Bewohner Europas, Nordafrikas, Vorderasiens und Vorderindiens.<br />
Unter den Europäern als Teil der Weißen Rasse wurden wiederum die Germanen besonders<br />
hervorgehoben. Sie saßen auf dem Gipfel der Rassenpyramide:<br />
"Vor allem kommt es darauf an, die Bedeutung der germanischen Rasse zu erkennen: 1. Es ist<br />
eine unbestreitbare Tatsache, daß heute die Länder, in denen <strong>das</strong> meiste reingermanische Blut<br />
vorhanden ist, an der Spitze der Kultur stehen: Großbritannien, Deutschland einschließlich<br />
Österreich, Niederlande und Schweiz; die drei nordischen Reiche Dänemark, Norwegen und<br />
Schweden; Nordamerika: Vereinigte Staaten und Kanada; Südafrika; Australien. Rein germanisch<br />
sind unter diesen Ländern wohl am meisten die drei nordischen Königreiche. Aber in den anderen<br />
ist eine mehr oder minder starke germanische Oberschicht, und dieser Oberschicht verdanken sie<br />
in erster Linie ihre Macht und ihre Kulturhöhe... Die Bedeutung der sogenannten romanischen<br />
Völker ist bedingt durch die Stärke ihrer germanischen Beimischung...Was man heute die<br />
slawische Rasse nennt, ist halbmongolisch...Im heutigen Deutschen Reich wohnt ein nordischturanisches<br />
Mischvolk: Die oberen Bevölkerungsschichten haben mehr germanisches Blut in ihren<br />
Adern, als der Durchschnitt der gesamten deutschen Bevölkerung; dieser Oberschicht verdanken<br />
wir unsere Kultur und Macht. Wir müssen dafür sorgen, daß keine Rasseverschlechterung eintritt;<br />
die Gefahr ist groß." 120<br />
Die Angst vor Rasseverschlechterung erreichte und beeinflußte die meisten politischen<br />
Anschauungen mehr oder weniger stark. Auch auf diesem Ideologiegebiet gab es kaum feste<br />
Grenzen. Selbst in der SPD gab es die bereits erwähnte Eugenikdebatte und den Wunsch, zu einem<br />
Qualitätsvolk aufzusteigen. Hitler setzte mit seiner Rassenlehre auf eine bereits vorhandene<br />
Grundüberzeugung in der Bevölkerung auf. Es ist falsch und irreführend, den Rassismus als<br />
nationalsozialistische Erfindung darzustellen, die Nationalsozialisten verfolgten diese Ideologie nur am<br />
konsequentesten.<br />
Bereits 1910 war absehbar, daß die Vereinigten Staaten als Schmelztiegel mehrerer Völker oder aber<br />
trotz dieser Verschmelzung in ihrer Entwicklung zeitweilig etwas weiter fortgeschritten waren. Wenn<br />
man nicht blind war, mußte man <strong>das</strong> erkennen. Man muß sich über <strong>das</strong> niedrige Niveau der<br />
politischen Diskussion in der Kaiserzeit und in der Weimarer Republik verwundern, im Dritten Reich<br />
gab es in dieser Frage bekanntlich keine theoretischen Veränderungen und keine praktischen<br />
Verbesserungen.<br />
Der Jude als antikapitalistische Projektionsfigur<br />
Von 1871 bis 1945 hat es in Deutschland nie eine ausgesprochen bürgerliche Staatsform oder eine<br />
durchgängig kapitalistische Wirtschaftsweise gegeben. Es gab statt dessen eine dominante<br />
Militärmonarchie Preußen, die alle anderen deutschen Staaten und den deutschen Bundesstaat<br />
langsam mit ihrem pedantischen Bürokratismus infizierte und ein wirtschaftliches Mischsystem aus<br />
vorfeudal-genossenschaftlichen, feudalen, marktwirtschaftlichen und staatswirtschaftlichen<br />
Elementen. Alles mit riesigen Unterschieden zwischen dem Rheinland und Ostelbien.<br />
Seit den Steinschen Reformen war die Marktwirtschaft im Bermudaviereck aus Genossenschaft,<br />
Gutswirtschaft, Marktwirtschaft und Staatswirtschaft erstarkt. Das hing mit der Einführung von<br />
Elementen der Gewerbefreiheit und dem dadurch ausgelösten Erstarken der industriellen Produktion<br />
zusammen. Die industrielle Produktion wuchs aber auf Kosten der vorbürgerlichen Produktionsweisen<br />
Handwerk, Krämerei, Müllerei, Fuhrwesen und Landwirtschaft. Bereits 1806 hatten die zünftigen<br />
Handwerker ihre Bedenken gegen die Einführung der Gewerbefreiheit geäußert, da sie sich als<br />
Verlierer der neuen Zeit fühlten. Und nicht nur die Handwerker waren Verlierer des industriellen<br />
Zeitalters, Fuhrleute und Gastwirte kämpften gegen ein modernes Verkehrssystem mit Eisenbahnen.<br />
120 Heinrich Wolf: Angewandte Geschichte, Th. Weicher, Leipzig, 9. Aufl. 1919. Die erste Auflage wurde 1910<br />
gedruckt.<br />
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