Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik
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daß <strong>das</strong> Sein <strong>das</strong> Bewußtsein bestimmt, und daß die ökonomische Basis der Gesellschaft den<br />
kulturellen und politischen Überbau beeinflußt und bestimmt. Die sozialistische Gesellschaft sollte aus<br />
der Vergesellschaftung der Produktion im Kapitalismus entstehen, der Sozialismus war die reife<br />
Frucht, die von den Proletariern revolutionär geerntet wird. Lenin hatte den preußischen<br />
Militärhistoriker Clausewitz gelesen und übernahm von diesem <strong>das</strong> Primat der Politik über die<br />
Ökonomie. In Clausewitzens Idealstaat wie in Lenins Vorhutpartei bestimmte eine kleine elitäre<br />
Schicht die Politik. Und diese leninistische Vorhut wartete die Reife des entwickelten Kapitalismus<br />
nicht ab, um die Frucht des Sozialismus zu bergen, sondern sie revolutionierte als Überbau die Basis:<br />
"Sowjetmacht + Elektrifizierung = Kommunismus" und ähnliche schamanistische Zauberformeln<br />
bestimmten für Jahrzehnte <strong>das</strong> Denken und stürzten den marxistischen Basis-Überbau-Pudding auf<br />
den Kopf.<br />
Es ist <strong>das</strong> Dilemma jeder sozialistischen Entwicklungsdiktatur, daß sie sich marxistisch nennt, aber<br />
nach marxistischen Rezepten nicht kocht, letztlich weil es die Zutaten für die unvollständigen, vagen<br />
und ungenauen Rezepte nicht gibt.<br />
Am Anfang des 20. Jahrhunderts gärte es unter der Oberfläche der sozialdemokratischen<br />
Parteifassade. Nachdem es schon vor 1914 mühsam zugekleisterte Risse gab, was den Weg zum<br />
Sozialismus betraf, kam es nach dem Kriegsausbruch zum Disziplinbruch des reformistischen Flügels.<br />
1915 verweigerten etwa 20 Abgeordnete die Zustimmung zu den Kriegskrediten, 1916 wurden sie aus<br />
der Partei ausgeschlossen. Die Ausgeschlossenen bildeten 1917 die USPD. Dadurch, daß die<br />
Spaltung sich aus dem Anlaß der Ablehnung der Kriegspolitik entwickelte, und nur der Grund die<br />
Affinität zu ideologischen Modeströmungen war, war die USPD ein Gemischtwarenladen, in dem<br />
äußerste revolutionäre Militanz, Pazifismus und Revisionismus, recht und schlecht miteinander<br />
kohabitierten. Das forderte Austritte und Ausschlüsse heraus, zum Schluß die Spaltung. Der<br />
Revisionist Bernstein beispielsweise wurde 1919 wegen rechten Abweichungen ausgeschlossen,<br />
Liebknecht und Luxemburg war die Partei wiederum nicht revolutionär genug, sie gründeten erst<br />
Spartakus und zum Schluß auf Geheiß der Moskowiter die KPD.<br />
Man kann natürlich die Frage stellen, ob die marxistische Ideologie als egalitärer Traum nicht<br />
größeren Massenanhang hatte, als die elitäre und deshalb weniger massenwirksame Lebensreform<br />
und damit größere Lebenskraft. Bis 1919 sah es zumindest so aus: die SPD wurde fast bei jeder Wahl<br />
stärker und die antimarxistischen Kräfte wurden sehr nervös, sie rechneten mit der kommenden<br />
Revolution. Je stärker die SPD wurde, desto mehr wurden jedoch die marxistischen Fundamente<br />
unterspült. So wie <strong>das</strong> Römische Reich immer noch größer wurde, als seine materiellen und ideellen<br />
Fundamente bereits unterspült waren, so wie die Sowjetunion kurz vor ihrem Zusammenbruch noch<br />
Angola, Äthiopien und den Südjemen zu seinem Einflussgebiet machte, so wuchs auch die SPD noch<br />
weiter, als bereits der innerparteiliche Dissenz über die Fragen der Strategie und Taktik als verhüllte<br />
Stellung der Frage nach der Führung die Parteitage beherrschte. Die Lebensreform beeinflußte den<br />
traditionellen Marxismus stark und spaltete die SPD in marxistische Traditionalisten und leninistische<br />
Elitaristen.<br />
Der sozialdemokratische „Vorwärts“ bestellte beim Germanenmaler und späteren NSDAP-Mitglied<br />
Fidus im Jahr 1905 für die Werbung zum 1. Mai eine Abbildung mit völkischen Hippies. Die Spaltung<br />
der Arbeiterbewegung in ökonomistische Menschewisten und intellektuellen Bolschewismus war in der<br />
deutschen Sozialdemokratie bereits 1905 in vollstem Gange. Es gab keinen Instinkt, der den<br />
Verantwortlichen die Grenzen wies. Die Spaltung der SPD war nur eine Frage der Zeit.<br />
Viele linke Intellektuelle, gute Beispiele sind die Münchner Räte, waren als Künstler stark von der<br />
Reform beeinflußt. Der Sozialdemokrat Ernst Toller zum Beispiel schrieb expressionistische<br />
Stationenstücke, die sich formal dem Zeitgeist anpaßten und er sehnte den reinigenden Weltkrieg<br />
herbei, "gab sich dem mitreißenden Rausch des Gefühls hin" in der Nation aufzugehen.<br />
"Die Worte "Deutschland, Vaterland, Krieg haben eine magische Kraft und entzünden sich in uns."<br />
Die orthodox marxistische Sozialdemokratie litt im späten Kaiserreich und in der Weimarer Republik<br />
an schleichender intellektueller Auszehrung und an Orientierungsproblemen. Die Zustimmung zu den<br />
Kriegskrediten 1914, <strong>das</strong> Eindringen eugenischer Überlegungen in <strong>das</strong> sozialistische, bis dato nur<br />
vom Klassenkampf bestimmte <strong>Menschen</strong>bild und der Kinderglaube, die Weimarer Syndikate und<br />
Kartelle mit Planwirtschaft auf den Pfad sozialistischer Tugend zu führen, sind Marksteine dieser<br />
Entwicklung. 1918, als die Nachkriegsunruhen in Deutschland ausbrachen, war die marxistische<br />
Ideologie durch die Einflüsse der Lebensreform verwässert, durch innere Zwiste in ihrem allein<br />
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