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Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

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den „Juni-Klub“, später den „Ring des deutschen Volkes“. Die Überparteilichkeit war sicherlich gewollt,<br />

war man sich doch eigentlich nur in der Ablehnung des westlichen Parlamentarismus einigermaßen<br />

einig. Die Stimmung in diesen Kreisen war nicht konservativ im Sinne einer Rückehr zum Kaiserreich,<br />

der Sinn war eher vorwärts gerichtet.<br />

Oswald Spengler bedauerte nicht den Sturz des Kaisers, sondern die Kraft- und Stillosigkeit der<br />

Novemberrevolution:<br />

„Kein mächtiger Augenblick, nichts Begeisterndes; kein großer Mann, kein bleibendes Wort, kein<br />

kühner Frevel“ 239<br />

Der „große Mann“ und der „kühne Frevel“ waren offensichtlich Entlehnungen aus dem<br />

allgegenwärtigen „Zarathustra“ und dem Nietzsche-Werk im allgemeinen; auch „die Erde“ und „<strong>das</strong><br />

Chaos“ sind zentrale Begriffe daraus:<br />

Deutschland hätte es in der Novemberrevolution versäumt, Sozialismus und Nation miteinander zu<br />

verschmelzen und sich an die Spitze der „jungen Völker“ zu stellen. Die jungen Völker waren nach den<br />

damaligen Thesen überlegen, weil sie noch stark und fruchtbar wären, unver<strong>braucht</strong>e barbarische<br />

Kraft der Mythenbildung in sich trügen, der Erde und dem schöpferischen Chaos näher stünden. Zu<br />

den jungen Völkern wurden im allgemeinen Deutsche, Russen, Japaner, Amerikaner und Italiener<br />

gerechnet.<br />

Zu den alten Völkern wurden in der Logik der Kapitalismuskritik Franzosen und Engländer gerechnet.<br />

Weil sie den jungen Völkern Deutschland und Russland geographisch im Wege lagen, konnten<br />

Tschechen und Polen, Slowaken und Litauer, Rumänen und Ungarn, Esten und Letten keine neuen<br />

Völker sein. Es war alles Schweinelogik mit offensichtlichen Ungereimtheiten.<br />

Von Anfang an suchte der Neokonservatismus den Schulterschluß der jungen Völker gegen <strong>das</strong><br />

Versailler System. Stadtler beispielsweise pries bereits 1920 die Diktatur Lenins: dort regiere ein<br />

Herrscher, der einzige in Europa. 1922 nach dem Marsch auf Rom favorisierte er ein Bündnis<br />

Deutschlands mit dem faschistischen Italien, mit den Jungtürken Atatürks und mit dem<br />

„Sowjetfaschismus“. 240<br />

Unter dem Titel „Der Sieg Lenins“ freute sich Stadtler im März 1921 über die Erstickung des angeblich<br />

von Frankreich angezettelten Kronstädter Matrosenaufstands im Blut.<br />

„Als Deutsche sind wir gezwungen, uns über die französische Niederlage im Osten zu freuen.“<br />

Die Annahme einer Verwicklung Frankreichs in diesen Aufstand ist überaus spekulativ; Stadtler wollte<br />

den „heuchlerischen schieberischen Antibolschewismus Frankreichs“ an den propagandistischen<br />

Pranger stellen; der Wunsch war wohl Vater dieses Gedankens.<br />

Die nationalsozialistischen Rassetheorien lehnte man in altpreußischer Tradition ab, da Preußens<br />

Stärke auch durch die Aufnahme fremder Völker, z.B. der Hugenotten und österreichischer<br />

Protestanten vermehrt worden sei. Stadtler lobte beispielsweise „die belebende Wirkung von<br />

Völkermischungen für die Bildung überschwänglicher Rassekraft“. 241<br />

Das Paradigma der Notwendigkeit von „Rassekraft“ war verbindend, nur <strong>das</strong> woher war zwischen<br />

Hitler und den meisten Neokonservativen umstritten. Der Umgang mit Juden war bei den<br />

Neokonservativen ambivalent. Es gab kaum einen neokonservativen Verschwörer, der nicht<br />

irgendwann mit dem sowjetrussischen Kommissar Radek konspiriert hatte. Das hinderte nicht, ihn in<br />

der „Deutschen Zeitung“ als „Radek-Sobelsohn“, „russischen Judenführer“ zu bezeichnen.<br />

Wir werden die Spuren der Neokonservativen eine Weile verlassen, um unsere Aufmerksamkeit<br />

anderen Erscheinungen zu widmen. In den Kapiteln über den Ruhrkampf, <strong>das</strong> Rapallo-Abkommen<br />

und die Schleicher-Regierung werden wir die Spur wieder aufzunehmen.<br />

239 Oswald Spengler: Preußentum und Sozialismus, München 1919, S 11<br />

240 Gert Koenen: Der Russland-Komplex, München S. 321 ff.<br />

241 s.o. S. 331<br />

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