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Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

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fährt er im Auto durch die Linden,<br />

um in den Pferdeäppeln eine verlorene Krone zu finden.<br />

Das gute Kind –! Wie die Rücken sich beugen<br />

wie die Fräcke sich demutsvoll verneigen!<br />

Uniformen blitzen ordensbesternt!<br />

Das können sie. Das haben sie gelernt.<br />

Lacht da einer? Da lacht keiner drüber.<br />

Die Zeitungen schwappen vor Schwachsinn über,<br />

berichten vom Präsidenten-Salon,<br />

von Gala-Oper und Hühnerbouillon,<br />

Der braune König wird Ehrendoktor ...<br />

Und nur ein vaterlandsloser, verstockter<br />

Roter sieht in der ganzen Musik<br />

den schönen Traum einer Republik.<br />

Nichts vergleichbares zu berichten hatte dagegen die Berliner yellow press über Gusto Gräser´s<br />

Seifenphobie und den Stuttgarter Vagabundenkongreß.<br />

Der Alt-Reformist Gusto Gräser wandelt 1928 in Sandalen und in einen härenen Sack gewandet durch<br />

Berlin und wirbt für ein anspruchsloses Leben. Er tötete keine Läuse und keine Flöhe und wusch sich<br />

nur dort, wo reines Quellwasser zur Verfügung stand. Der Kongress von 600 Vagabunden fand<br />

Pfingsten 1929 in der heimlichen Hauptstadt des Vagabundismus Stuttgart statt. Die Teilnehmer<br />

kamen aus Deutschland, Österreich, der Tschechoslowakei, Polen und Ägypten. 1928 soll es in<br />

Deutschland 70.000 Vagabunden gegeben haben, 1933 eine noch höhere Zahl.<br />

Zum Schluß des Kapitels über die relative Stabilisierung erfolgt ein Blick in die Politik. Die<br />

sogennanten goldenen Jahre von 1924 bis 1928 waren durch einen Rückgang des politischen<br />

Einflusses der Sozialdemokratie gekennzeichnet. Die SPD zog sich in die Opposition zurück und<br />

Reichspräsident Ebert starb. Andererseits stabilisierte sich während der kurzzeitigen Stabilisierung der<br />

Wirtschaft auch die proletarische Basis der Partei. Es gab erstmals wieder Licht am Ende des<br />

sozialistischen Tunnels, auch wenn es nur ein Irrlicht war. Der Streit zwischen DDP und Zentrum über<br />

die Frage der Regierungsbeteiligung der DNVP, der zur Auflösung des Reichstags geführt hatte,<br />

endete nach der Neuwahl des Reichstags Ende 1924. Nun wurde die DNVP zunächst mit ins<br />

Regierungsboot genommen. Nichts schadete ihr mehr, als Regierungsverantwortung, wie sich bei der<br />

Wahl von 1928 zeigen sollte.<br />

Regierungsarithmetik:<br />

DNVP 20,5 %<br />

Zentrum 13,6 %<br />

DVP 10,1 %<br />

DDP 6,3 %<br />

----------<br />

Summe 50,5 %<br />

Im Februar 1925 starb Reichspräsident Ebert, weil er eine notwendige Gallenoperation mit<br />

Rücksichtnahme auf laufende Beleidigungsprozesse verschleppt hatte. Im April 1925 beim 2.<br />

Wahlgang zur Reichspräsidentenwahl siegte der kaiserliche Reichsfeldmarschall v. Hindenburg mit<br />

48,3 % knapp vor dem Kandidaten der Weimarer Verfassungsparteien Wilhelm Marx (45,3 %).<br />

Es ist eine Arbeitshypothese, daß die Anhänger der Konservativen, der DVP, der Wirtschaftspartei<br />

und der Nationalsozialisten (zusammen bei der letzten Reichstagswahl etwa 37 %) zu Hindenburg<br />

tendierten, dagegen die Anhänger der Verfassungsparteien Zentrum, DDP-Reformisten und<br />

Sozialdemokraten (zusammen bei der letzten Reichstagswahl etwa 50 %) zu Marx. Am Wahlergebnis<br />

wird eines der Probleme der Republik deutlich: Die Verfassungsparteien konnten ihr Wählerpotential<br />

nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten fokussieren: Die jahrzehntelange antikatholische Hetze trug<br />

ihre Früchte: Die Vorbehalte vieler Sozialdemokraten und DDP-Reformisten waren stärker, als die<br />

Vernunft. Lieber wurde zu Hause geblieben oder der Protestant Hindenburg gewählt, als der Katholik<br />

Marx. Nicht einmal im katholischen Lager herrschte Eintracht. Die Bayerische Volkspartei rief zur Wahl<br />

Hindenburgs auf.<br />

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