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Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

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Nicht nur in Deutschland, im ganzen antibürgerlichen alten Europa wimmelte es nicht nur von<br />

überflüssigen Soldaten, sondern auch von malenden intellektuellen ego-shootern: André Breton<br />

phantasierte:<br />

„Die einfachste surrealistische Handlung besteht darin, mit Revolvern in den Fäusten auf die<br />

Straße zu gehen und blindlings so viel wie möglich in die Menge zu schießen. Wer nicht einmal im<br />

Leben Lust gehabt hat, auf diese Weise mit dem derzeit bestehenden elenden Prinzip der<br />

Erniedrigung und Verdummung aufzuräumen – der gehört eindeutig selbst in diese Menge und hat<br />

den Wanst ständig in Schusshöhe.“<br />

General Maercker hatte Deutschland mit der Bildung seines Freikorps vor dem Chaos retten wollen,<br />

was historisch kurzzeitig auch gelang. Rückblickend beklagte Ernst von Salomon dagegen 1930 in<br />

seinem autobiografischen Roman „Die Geächteten“ zwei Sünden gegen den Geist: Im Baltikum habe<br />

man als Söldner Englands einen Schutzwall gegen den geheimnisvollen Aufbruch eines Volkes<br />

errichtet, danach habe man <strong>das</strong> Vaterland vor dem Chaos gerettet, statt dem Chaos seinen Lauf zu<br />

lassen, was dem Werdenden günstiger gewesen wäre, als die Ordnung. 228 Maercker war kaiserlicher<br />

Ordnungsfaktor, Salomon nietzscheanischer Seilkletterer über dem Abgrund.<br />

Am 19. Dezember 1918 reiste der sowjetrussische Revolutionär Karl Radek als österreichischer<br />

Soldat verkleidet nach Berlin und betrieb mit Erfolg die Gründung der KPD und die Organisation des<br />

Aufstands. Zwischen Rosa Luxemburg und ihm war <strong>das</strong> sozialdemokratische Tischtuch seit 1912<br />

zerschnitten. Luxemburg hatte seinen ehrenrührigen Rausschmiß aus der polnischen<br />

Sozialdemokratie erreicht und seinen Ruf auch in Deutschland ruiniert. Nun stand er nach sechs<br />

turbulenten Jahren quasi als ihr Vorgesetzter in der kommunistischen Türe. Rosa Luxemburg gehörte<br />

im tiefsten Inneren zu den letzten Marxisten in der Linken. Im Programm des Spartakusbundes hatte<br />

sie geschrieben: „Die proletarische Revolution ... ist kein verzweifelter Versuch einer Minderheit, die<br />

Welt mit Gewalt nach ihrem Ideal zu modeln, sondern die Aktion der großen Millionenmasse des<br />

Volkes, die berufen ist, die geschichtliche Mission zu erfüllen und die geschichtliche Notwendigkeit in<br />

die Wirklichkeit umzusetzen.“ Da war wieder Marxens Mission und Marxens Notwendigkeit, die des<br />

Führerimpulses nicht bedurften, sondern der Wechsel, der sich naturgesetzlich abspielen sollte. Die<br />

Metapher des Modelns war offenbar dem Kommunistischen Manifest entlehnt. Bei Luxemburg hieß<br />

es:<br />

„Der Spartakusbund wird nie anders die Regierungsgewalt übernehmen als durch den klaren<br />

unzweideutigen Willen der großen Mehrheit der proletarischen Massen in Deutschland.“<br />

Radek hatte dagegengesetzt, <strong>das</strong>s die Revolution nie und nirgends als Tat der Mehrheit der<br />

Bevölkerung beginnen werde. Die Diktatur des Proletariats sei generell die Diktatur einer<br />

Minderheit. 229<br />

So standen sich am Vorabend der KPD-Gründung <strong>das</strong> marxistische und <strong>das</strong> reformistische Konzept<br />

gegenüber, <strong>das</strong> marxistische vertreten durch Luxemburg und <strong>das</strong> reformistische durch Liebknecht<br />

und Radek. Koenen schreibt, <strong>das</strong>s sich Liebknecht im Zuchthaus als Anti-Materialist mit<br />

„Bewegungsgesetzen menschlicher Entwicklung“ beschäftigt habe. Zum Problem der<br />

„materialistischen“ Rosa Luxemburg sollte es werden, und ihr Schicksal wurde dadurch besiegelt,<br />

<strong>das</strong>s sie sich ohne erkennbare Not und gegen frühere Erkenntnisse mit bösen elitaristischen Buben<br />

einließ.<br />

Liebknecht hatte Anfang Januar in einer spontanen Aktion ein dreiköpfiges Revolutionskomitee<br />

gebildet und die Regierung Ebert-Scheidemann am 6. Januar 1919 für abgesetzt erklärt. Ebert ging<br />

entschlossen gegen die reformistische Gefahr vor. Am 12. Januar 1919 erschien im „Vorwärts“<br />

folgendes Gedicht, welches den moralischen Boden für <strong>das</strong> demokratische roll-back vorbereitete:<br />

»Ich sah der Massen räuberische Streife,<br />

sie folgten Karl dem blinden Hödur nach,<br />

sie tanzten nach des Rattenfängers Pfeife,<br />

der ihnen heuchlerisch die Welt versprach.<br />

Sie knieten hin vor blutigen Idolen,<br />

bauchrutschten vor der Menschheit Spott und Hohn,<br />

228 Ernst von Salomon: Die Geächteten, Berlin, 1930, S. 107 f.<br />

229 Gerd Koenen: Der Russland-Komplex, C.H.Beck, S. 198<br />

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