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Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

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eine Szenerie immerwährender Exaltation und dienten unterschiedslos als Impuls zur Entfaltung<br />

weitläufiger psychotechnischer Künste mit dem Ziel, <strong>das</strong> Volk immer dichter zu integrieren und ein<br />

allgemeines Mobilmachungsbewußtsein zu erzeugen. Dieser Zusammenhang war im Staat Hitlers<br />

besonders eng und farbenreich geknüpft, so eng, daß mitunter gleichsam eine<br />

Gewichtsverlagerung eintrat, in deren Verlauf die Politik geradezu ihren Vorrang einbüßen und zur<br />

Magd grandioser Theatereffekte zu werden schien. ... Unwillkürlich kam immer wieder seine<br />

(Hitlers) theatralische Natur zum Vorschein und verführte ihn dazu, die politischen Kategorien den<br />

inszenatorischen nachzuordnen. Die Herkunft Hitlers aus der spätbürgerlichen Bohème, seine<br />

anhaltende Verwurzelung darin, war in diesem Amalgam von ästhetischen und politischen<br />

Elementen unverwechselbar kenntlich." 421<br />

Hitler persönlich war nicht nur der Schöpfer der Parteisymbole, sondern auch der Regisseur und der<br />

Dramaturg der Massenrituale, wo er selbst jedes Detail auswählte und begutachtete. Die<br />

künstlerischen Details der Totenehrungen, den Feuerzauber bei nächtlichen Scheiterhaufen und<br />

Flammenrädern, <strong>das</strong> Abschreiten der Gassen zwischen riesigen <strong>Menschen</strong>blöcken und die Plazierung<br />

des Fahnenschmucks, alles <strong>das</strong> waren Details die der Führer sich nicht aus der Hand nehmen ließ,<br />

weil er sich als Künstler berufen fühlte. Und für die Feiern und Riten in der Provinz, die er nicht<br />

persönlich leiten konnte, gab es seine verbindlichen Handbücher. Das "Amt für Fest-, Freizeit- und<br />

Feiergestaltung" war der Herausgeber dieser Handlungsanweisungen und der zentrale Tummelplatz<br />

Hitlers, auf dem er die wagnerianischen Opernphantasien seiner Jugend als kollossale<br />

Selbstbestätigung Wirklichkeit werden ließ.<br />

Der zentrale Gedanke der Nationalsozialisten war der zentrale Gedanke Nietzsches und seiner<br />

Jünger: Der Übermensch, der <strong>Neue</strong> Mensch. Bei Nietzsche war er von den Griechen im allgemeinen<br />

inspiriert, bei Hitler hatte er speziell spartanische Züge: hart wie Kruppstahl, zäh wie Leder.<br />

"Wer den Nationalsozialismus nur als politische Lehre versteht, weiß fast nichts von ihm. Er ist<br />

mehr noch als Religion: er ist der Wille zur neuen <strong>Menschen</strong>schöpfung". 422<br />

Alle politischen Maßnahmen, die uns heute brutal und unmenschlich erscheinen, hatten in diesem<br />

kulturellen Ziel, in damaligem Verständnis als Ergebnis hohen Sinnens, wie Fest schreibt in Hitlers<br />

innersten und feierlichsten Gedanken ihren Kern. Das Gesetz zur Wiederherstellung des<br />

Berufsbeamtentums, die Beschlüsse der Wanseekonferenz, die Euthanasiegesetze, der "Verlobungs-<br />

und Heiratsbefehl" der SS oder die Gründung des Rasse- und Siedlungshauptamtes SS; entweder<br />

dienten sie dazu perfekte Neogermanen zu züchten oder die Juden als vermeintliche Gegenbildung<br />

des Ariers zu vernichten.<br />

Stanley Payne hat Hitlers Weltbild als modern, und nicht als reaktionär oder vormodern bezeichnet,<br />

was eine Replik geradezu herausfordert. Er schreibt dazu:<br />

"Alle politischen und sozialen Ideen Hitlers hatten ihren Ursprung in Varianten der historischen<br />

Aufklärung - die Revolte gegen die traditionelle Kultur im Namen eines revolutionären<br />

Säkularismus, der Glaube an ein säkulares Naturgesetz und ein naturalistischer deistischer<br />

Gottesbegriff, die Verwerfung des traditionellen christlichen Konzepts der Einheit der Menscheit<br />

zugunsten einer rassischen Trennung, die Hervorhebung einer Kombination von biologischer<br />

Ungleichheit und sozialer Gleichheit, die Unterscheidung zwischen den Produktiven und den<br />

Unproduktiven, die Betonung des Volkes und der Volksgruppe, der Rousseausche allgemeine<br />

Wille des Volkes, der optimistische Glaube an den Fortschritt und an eine höhere Menschlichkeit,<br />

sowie der Kult des Willens. Alle diese Überzeugungen Hitlers waren fundamentale Postulate<br />

moderner Philosophie und Kultur..." 423<br />

Dagegen läßt sich einiges einwenden: Kann eine Konzeption modern sein, die zwar mit dem<br />

damaligen Stand der Naturwissenschaft scheinbar übereinstimmte, jedoch nicht wirklich weltpolitisch<br />

und gesellschaftspolitisch funktionierte? Kann so ein looser modern gedacht haben? Ist nicht ein<br />

christlich-katholisches Konzept moderner, <strong>das</strong> zwar der Naturwissenschaft scheinbar widerspricht,<br />

jedoch den <strong>Menschen</strong> schärfer erkennt und sich deshalb praktisch tausendmal besser bewährt? Die<br />

christliche Nachkriegsordnung war wesentlich erfolgreicher, nachhaltiger und lebenswerter als die<br />

atheistische Vorkriegsordnung; an der Effektivität und der Fähigkeit die Konflikte zu managen, daran<br />

421 s.o. S. 725<br />

422 K. Rauschning: Gespräche, S. 232, zitiert bei Fest, Hitler, S. 762<br />

423 Stanley Payne: Geschichte des Faschismus, S. 588 f.<br />

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