Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik
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Preußischer Sozialismus und süddeutscher Traditionalismus<br />
1919 hatte Oswald Spengler die Schrift "Preußentum und Sozialismus" verfaßt: "Altpreußischer Geist<br />
und sozialistische Gesinnung sind ein und <strong>das</strong>selbe". Die Gegensätze zwischen England und<br />
Preußen würden im freien Unternehmertum einerseits und in der Lenkung der Wirtschaft durch den<br />
Staat andererseits gipfeln. Die historische Mission könne erfüllt werden, wenn Preußentum und<br />
Sozialismus zusammengeschmiedet würden.<br />
Der preußische Sozialismus wurde von Oswald Spengler propagiert, aber nicht erfunden. Durch die<br />
ganze kaiserliche Propaganda und mehr noch durch die Propaganda der kaiserlichen Untertanen<br />
spukt <strong>das</strong> Bild vom "perfiden Albion". Dieses Albion als Zerrbild Englands lieferte über Jahrzehnte <strong>das</strong><br />
Gegenbild Preußens, an dem man sich messen und reiben konnte. Die Engländer waren als traurige<br />
Händler und Krämerseelen verschrieen.<br />
In der Karikatur wurde England auch oft durch eine Schlange oder einen Kraken dargestellt - als<br />
Sinnbild von Perfidität (Treulosigkeit, Gemeinheit, Hinterlist, Tücke und Verrat). England wurde aber<br />
auch als Kinderstube oder Musterland des Kapitalismus wahrgenommen - und so hatte der<br />
Kapitalismus in preußischen Augen seinen Stempel weg - als perfide.<br />
Auch Frankreich bekam sein Fett weg. Heinrich Mann ließ seine Romanfigur Diederich Heßling<br />
schreien:<br />
"Aus dem Lande des Erzfeinds wälzt sich immer wieder die Schlammflut der Demokratie her, und<br />
nur deutsche Mannhaftigkeit und deutscher Idealismus sind der Damm, der sich ihr entgegenstellt.<br />
(...) Wir sind nicht so! Wir sind ernst, treu und wahr! Deutsch sein, heißt eine Sache um ihrer selbst<br />
willen tun! Wer von uns hätte je aus seiner Gesinnung ein Geschäft gemacht?"<br />
Eng mit der Abneigung gegen den Kapitalismus verschlungen und verschränkt wurde <strong>das</strong> Eigen-<br />
Zerrbild bedient. Konservative Werte und Tugenden wie Selbstaufopferung für die Gemeinschaft,<br />
Sparsamkeit und Disziplin wurden mit Preußen in Verbindung gebracht. Tendenziell wurde der<br />
Unterschied des bürgerlichen Systems in England und des vorbürgerlich-halbmittelalterlichen Systems<br />
in Preußen richtig erkannt, die Frage ist jedoch, welche Folgerungen gezogen wurden. War ein<br />
bürgerliches oder ein vorbürgerliches System für die Untertanen besser?<br />
In Preußen wurde diese Frage parteiübergreifend einheitlich und falsch beantwortet. Von den<br />
Nationalsozialisten über die Konservativen bis zu den Sozialdemokraten und Kommunisten herrschte<br />
Einigkeit in der Ablehnung des englischen Wegs. Lediglich bei den Freisinnigen unter Eugen Richter<br />
gab es bis etwa 1905 marktwirtschaftliche und wirtschaftsliberale Standpunkte, die aber nicht<br />
durchgesetzt werden konnten und die ab 1910 unter dem Einfluß der Nationalsozialen unter Friedrich<br />
Naumann zugunsten einer stärkeren Betonung nationaler Interessen aufgegeben wurden.<br />
Den antikapitalistischen Affekt gab es nicht nur in Preußen. Die mentalen Voraussetzungen für die<br />
Ablehnung des liberalen Wirtschaftssystems lagen in Süddeutschland im Traditionalismus der in der<br />
Wirtschaft Tätigen selber. Adolf Hitler und Hermann Hesse waren keine Preußen, sie waren definitiv<br />
Süddeutsche. In Süddeutschland hatte zwar der preußische Militarismus keine Wurzeln, <strong>das</strong><br />
Zunftwesen war aber besonders verknöchert und die Traditionen wurden hochgehalten. In einer Zeit,<br />
als Deutschland industrialisiert wurde, hatten Grimms Märchen Hochkonjunktur, der Sachse Ludwig<br />
Richter malte knorrige Eichen und knorrige Schulmeister, der Bayer Carl Spitzweg malte<br />
strümpfestrickende Stadtsoldaten, Postillione und einen Gnom, der von seiner Berghöhle aus die<br />
Eisenbahn fern unten im Tale betrachtet. Die romantische Strömung, die in der Nach-Napoleon-Zeit<br />
oft auch einen nationalen Unterton hatte, gab es nicht erst seit dem Wandervogel; die Brüder Grimm,<br />
Richter und Spitzweg hatten auf der Ebene der Stimmungen romantisiert, ohne derbe<br />
antikapitalistische Parolen beizumischen. Sie waren aber Zeitgenossen des Übergangs vom<br />
traditionellen zum kapitalistischen Geist und wo ihre Sympathien lagen, <strong>das</strong> verhehlten sie nicht. Was<br />
Spitzweg als verlorenes Paradies malte, beschrieb Max Weber als Übergang von der traditionellen zur<br />
Marktwirtschaft an einem Beispiel so:<br />
"Bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts (des 19. Jh.) war <strong>das</strong> Leben eines Verlegers...ein für<br />
unsere heutigen Begriffe ziemlich gemächliches. Man mag sich seinen Verlauf in etwa so<br />
vorstellen: Die Bauern kamen mit ihren Geweben...in die Stadt, in der die Verleger lebten und<br />
erhielten nach sorgsamer, oft amtlicher, Prüfung der Qualität die üblichen Preise dafür gezahlt. Die<br />
Kunden der Verleger waren für den Absatz auf alle weiteren Entfernungen Zwischenhändler, die<br />
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