15.11.2012 Aufrufe

Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Marx bemängelte in seiner Kritk Stirners, daß die Welt in Ungebildete (Neger, Kinder, Katholiken,<br />

Realisten...) und Gebildete (Mongolen, Jünglinge, Protestanten, Idealisten...) geteilt würde, wobei die<br />

Gebildeten über die Ungebildeten zu herrschen hätten.<br />

Zu vermerken ist an dieser Stelle, <strong>das</strong>s Stirners Charakteristik der Ungebildeten und der Gebildeten<br />

die späteren Überzeugungen der Jugendbewegung weitgehend vorwegnahm. Die Unterscheidung in<br />

Ungebildete, Neger, Kinder, Katholiken, Realisten einerseits und Gebildete, Mongolen, Jünglinge,<br />

Protestanten, Idealisten andererseits wurde von der Jugendbewegung übernommen, wobei <strong>das</strong> Kind<br />

ab 1900 aus dem Kanon des Negativen herausgenommen wurde und der Jude als Platzhalter des<br />

Kapitalismus herein. Der Jugendwahn und der Idealismus als Leitbild der Führungsschicht reichen in<br />

ihrer Entstehung bis tief ins 19. Jahrhundert zurück. Der Mongole, welchen Stirner meinte, war<br />

vermutlich Lenin.<br />

Zur Religion vermerkte Stirner:<br />

"Ich demüthige Mich vor keiner Macht mehr und erkenne, daß alle Mächte nur Meine Macht sind,<br />

die Ich sogleich zu unterwerfen habe, wenn sie eine Macht gegen oder über Mich zu werden<br />

drohen; jede derselben darf nur eins Meiner Mittel sein, Mich durchzusetzen."<br />

Das ist blanker Hedonismus. Nicht ohne Grund, wegen wirklicher Eignung für antietatistische<br />

Experimente buk Michail Bakunin aus Stirner und Proudhon den Anarchismus. Unter dem Einfluß von<br />

Bakunin schrieb Richard Wagner 1849 in den Dresdner Volksblättern:<br />

„Der eigne Wille sei der Herr des <strong>Menschen</strong>, die eigne Lust sein einzig Gesetz, die eigene Kraft<br />

sein ganzes Eigenthum, denn <strong>das</strong> Heilige ist allein der freie Mensch, und nichts höheres ist, denn<br />

Er.“<br />

Das war anarchistische Nachbeterei, denn Wagner wollte zumindestens in der Revolution „jegliche<br />

Herrschaft des Einen über den Anderen“ zerstört wissen. Das interessante ist: Der anarchistische<br />

Einzige wandelte sich im Laufe der Jahre zum Übermenschen, der als starker Führer begriffen, seinen<br />

starken Willen anderen Individuen zum Kompass machte.<br />

Am Ausgang der klassischen deutschen Philosophie wurde der <strong>Neue</strong> Mensch geboren, jenes<br />

gefährliche Gespenst, <strong>das</strong> 40 Jahre später ein ausgewachsener Flegel geworden war und 100 Jahre<br />

später ein monströser Godzilla, der durch die Welt trampelte. 1843 schrieb Feuerbach an Ruge:<br />

„Wir kommen in Deutschland sobald auf keinen grünen Zweig. Es ist alles in Grund und Boden<br />

hinein verdorben, <strong>das</strong> eine auf diese, <strong>das</strong> andere auf jene Weise. <strong>Neue</strong> <strong>Menschen</strong> brauchen wir.<br />

Aber sie kommen diesmal nicht wie bei der Völkerwanderung aus den Sümpfen und Wäldern, aus<br />

unseren Lenden müssen wir sie erzeugen. Und dem neuen Geschlecht muß die neue Welt<br />

zugeführt werden in Gedanken und Gedicht. Alles ist von Grund auf zu erschöpfen.“<br />

Da war er bereits, der neue Mensch.<br />

Bei der akademischen Rauferei um den Nachlaß Hegels, bei dem die revolutionäre Methode gegen<br />

<strong>das</strong> konservative System Hegels und <strong>das</strong> System gegen die Methode gewendet wurde, hatte sich der<br />

Unterschied zwischen dem marxistischen Egalitarismus und dem Stirnerschen Elitarismus angedeutet<br />

und ausgeprägt. Bis zur Krise der Jahrhundertwende marschierte die egalitär-sozialistische und die<br />

elitaristisch-ständisch-kleinbürgerliche Theorie getrennt. Um die Jahrhundertwende wurde die<br />

Schwäche des Marxismus deutlich: Marx hatte die Rolle der Persönlichkeit in der Geschichte mit dem<br />

festen Glauben an einen gesellschaftlichen Mechanismus (Märchen vom "Rad der Geschichte") in den<br />

theoretischen Hintergrund abgedrängt. Und er hatte die Reife der Marktkräfte und der sogenannten<br />

"Produktivkräfte" überschätzt. Ein gestandener Sensualist hätte ahnen können, daß die wirklichen<br />

<strong>Menschen</strong> auf die vorgefundenen und sich verändernden Produktivkräfte und Verkehrsverhältnisse<br />

mannigfaltiger reagieren, als von den sozialistischen Patriarchen vermutet. Ein gestandener Historiker<br />

hätte dagegen befürchtet, daß die neuen Verkehrsformen nicht alle alten verdrängen und die<br />

althergebrachten sich mit großer Zähigkeit an die neuen Produktionsmittel anheften könnten. Mit den<br />

unzutreffenden Prophezeiungen von Marx wuchs mit jedem Jahr die Schwäche des Marxismus und<br />

mit dieser Schwäche wuchs reziprok die Stärke elitaristischer Gesellschaftskonzepte. Um die<br />

Jahrhundertwende verbanden sich die bis dahin getrennt marschierenden Säulen des kleinbürgerlichständischen<br />

Elitarismus und der Arbeiterbewegung zum Leninismus. Stirner hatte über Marx gesiegt.<br />

17

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!