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Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

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Wirtschaftsmodell der Staatswirtschaft auch ohne sozialistische Umwälzung tradiert. In Deutschland<br />

sollte diese Errungenschaft Asiens als Bestandteil des Zukunftsstaats eingeführt werden, allerdings<br />

mit der Illusion verbunden, daß der Staat absterben werde. 256 Die Sowjetbürger beispielweise haben<br />

auf <strong>das</strong> Wunder des Absterben des sozialistischen Staats über 70 Jahre vergeblich gewartet. Bereits<br />

im November 1918 noch vor der Nationalversammlung war durch den sozialdemokratisch besetzten<br />

Rat der Volksbeauftragten die Sozialisierungskommission gegründet worden, der die Aufgabe<br />

zukommen sollte, die Verstaatlichung der Schwerindustrie voranzubringen. Mitglieder dieser<br />

Kommission waren zum Beispiel Karl Kautsky (USPD), der spätere Wirtschaftsminister Hilferding<br />

(SPD) und der Wirtschaftstheoretiker Schumpeter. In die zweite Sozialisierungskommission hatte es<br />

auch der kaiserliche Krigswirtschaftsführer Rathenau geschafft. Im Februar 1919 war der<br />

Gewerkschafter Rudolf Wissel (SPD) Reichswirtschaftsminister geworden. Wissel und sein Mitarbeiter<br />

Wichard von Moellendorff, stoppten die direkten Verstaatlichungspläne und traten demgegenüber für<br />

eine staatlich gelenkte Privatwirtschaft ein. Mit dieser staatlich gelenkten Wirtschaft hatte<br />

insbesondere Moellendorff reichlich Erfahrung, denn er kam direkt aus Walther Rathenaus Waffen-<br />

und Munitionsbeschaffungsamt (Wumba) und der kaiserlichen Kriegsrohstoffabteilung (KRA).<br />

Hauptergebnisse der Sozialisierungspolitik waren <strong>das</strong> Sozialisierungsgesetz, <strong>das</strong> Kollektivität als Ziel<br />

der Regierung und Pflicht der Bürger bezeichnete und <strong>das</strong> Kohlenwirtschaftsgesetz, <strong>das</strong> einen<br />

Reichskohlenverband aus Regierung, Management und Gewerkschaften vorsah.<br />

Es ist unschwer zu erkennen, daß die Kriegswirtschaft in den Frieden herübergerettet werden sollte,<br />

und daß eine unheilvolle personelle Kontinuität (v. Moellendorff, Koeth, Rathenau) diesen Vorgang<br />

begleitete. Wieviel Kritik ist zu Recht oder zu Unrecht am Einfluß der Schwerindustrie auf den Staat<br />

geübt worden! Gegen den Einfluß des Staates auf die Schwerindustrie ist dagegen nur sehr wenig<br />

polemisiert worden. Aber dieser Einfluß war während der Weimarer Republik und insbesondere<br />

während des Dritten Reiches unheilvoll. Das Ziel des Staates war es, Macht zu erhalten und zu<br />

gewinnen und dafür aufzurüsten.<br />

Schwer verständlich ist es aus heutiger Sicht, wenn führende Politiker der frühen Weimarer Zeit die<br />

enge Allianz der Kriegszeit aufrechterhalten wollten. Jede Lösung, die eine Distanz zwischen Staat<br />

und Rüstungsindustrie gefördert hätte, wäre besser gewesen. Jede Lösung, die diese Entfernung<br />

verringerte, war schlecht.<br />

Adolf Hitler hätte die staatlichen Reichswerke Hermann Göring nicht gegründet, wenn er der<br />

Überzeugung gewesen wäre, daß diese Staatlichkeit der Aufrüstung nicht nützt. Adolf Hitler hätte nicht<br />

bereits 1934 <strong>das</strong> Anleihestockgesetz erlassen, wenn er der Überzeugung gewesen wäre, daß die<br />

Zwangsanlage von Gewinnen in der Rüstungsindustrie der Aufrüstung nicht nützt. Adolf Hitler ging es<br />

von Anfang an nur um Aufrüstung und er griff zum Mittel der staatlich gelenkten Privatwirtschaft,<br />

ebenso wie zum Mittel der Staatswirtschaft, wo sich dieses anbot. Adolf Hitler machte die Kapitalisten<br />

zu Betriebsführern. Als solche waren sie Befehlsempfänger und Befehlsgeber in einem. Er kam auf<br />

die Institutionen der Kriegswirtschaft des ersten Weltkrieges zurück und war sicher nicht unglücklich,<br />

daß er nicht alles neu erfinden und durchsetzen mußte, und daß die parlamentarischen Trottel<br />

während der Weimarer Zeit nichts wesentliches verändert oder beschädigt hatten, von der<br />

unterbliebenen Zerstörung der Kriegswirtschaft ganz zu schweigen. Das nationalsozialistische<br />

Wirtschaften war letztlich durch die Tradition des Kaiserreiches und der Weimarer Republik geheiligt<br />

und damit entzog es sich als offensichtlich konsenzfähig der Hinterfragung. Das Dritte Reich bediente<br />

sich des erprobten Konzepts der Gemeinwirtschaft. Auf jedem Markstück stand: Gemeinnutz geht vor<br />

Eigennutz.<br />

Eine weitere Orientalisierung Deutschlands mit der Verstaatlichung der Schwerindustrie konnte 1919<br />

verhindert werden, aber dieser Stillstand reichte nicht aus, da die planwirtschaftlichen Strukturen der<br />

Kriegswirtschaft erhalten blieben. Nötig wäre eine Europäisierung Deutschlands gewesen, die<br />

Entflechtung der Konzernstrukturen und die Schaffung einer möglichst großen und dauerhaften<br />

Distanz zwischen Schwerindustrie, Staat und Reichswehr.<br />

Eine unheilvolle hundertjährige Kontinuität vom Wilhelminismus bis zum Zusammenbruch 1989<br />

begünstigte durch ihren Hang zur Zentralisierung wirtschaftlicher Entscheidungen letztlich den Hang<br />

zur Zentralisierung politischer Entscheidungen.<br />

256 August Bebel: Die Frau und der Sozialismus, JHW Dietz Nachf. Berlin, 55. Aufl. 1946, S. 466 f.<br />

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