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Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

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"Sie rufen auf gegen <strong>das</strong> Judenkapital, meine Herren?. Wer gegen <strong>das</strong> Judenkapital aufruft, meine<br />

Herren, ist schon Klassenkämpfer, auch wenn er es nicht weiß. Sie sind gegen <strong>das</strong> Judenkapital<br />

und wollen die Börsenjobber niederkämpfen. Recht so. Tretet die Judenkapitalisten nieder, hängt<br />

sie an die Laterne, zertrampelt sie. Aber, meine Herren, wie stehen Sie zu den Großkapitalisten,<br />

den Stinnes, Klöckner?"<br />

Am 22. August 1923 berichtete der sozialdemokratische "Vorwärts" unter der Überschrift "Hängt die<br />

Judenkapitalisten. Ruth Fischer als Antisemitin" genüßlich über die neue kommunistische "Linie". 310<br />

Nicht nur die KPD tanzte nach der moskauer Pfeife, auch die Neokonservativen verhandelten, folgt<br />

man den Spuren einer Notiz im Moskauer Sonderarchiv mit Karl Radek. In den Verdacht der<br />

Kumpanei mit Moskau gerieten Graf Ernst zu Reventlow von der Deutschvölkischen Freiheitspartei,<br />

Arthur Moeller van den Bruck und Eduard Stadtler. Alle dementierten; „Das Gewissen“ von Stadtler<br />

wurde von Kommissar Radek in der „Roten Fahne“ als „einziges denkendes Organ der deutschen<br />

nationalistischen Kreise“ hoch gelobt. 311 So wie Radek die Neokonservativen und Nationalsozialisten<br />

unter kommunistische Oberhoheit bringen wollte, so wollten Neokonservative und Nationalsozialisten<br />

die Kommunisten zu ihren Gefolgsleuten machen, Gerd Koenen nennt <strong>das</strong> „Werbung durch den<br />

stärkeren Terror“.<br />

Die Mitgliederzahl der NSDAP war innerhalb eines Jahres von 6.000 auf 55.000 gestiegen. In einer<br />

Bilanz der Reichsregierung vom 11.7.1923 wurde die Zahl der Besatzungssoldaten mit 87.000<br />

angegeben, dazu kamen 17.000 Eisenbahner, die ihre ausgewiesenen deutschen Kollegen vertraten,<br />

92 Deutsche waren getötet worden und 70.000 ausgewiesen. Die Reichsregierung hatte durch den<br />

passiven Widerstand an der Ruhr erhebliche Mehrkosten zu schultern.<br />

Die Inflation beschleunigte sich auch dadurch ständig. Im August 1923 verurteilte England die<br />

Besetzung des Ruhrgebiets als rechtswidrig. Einen Tag später trat die Regierung Cuno zurück.<br />

Die Politik des passiven Widerstands und der Provokation Frankreichs war gescheitert. Beide Seiten,<br />

Frankreich und Deutschland begaben sich fürderhin auf den Weg von Verhandlungen. Am 13. August<br />

wurde die Regierung Stresemann gebildet, einen Monat später wurde der passive Widerstand gegen<br />

die Ruhrbesetzung aufgegeben.<br />

Die Stunde der Umstürzler<br />

Unter dem Erdgeschoß des politischen Ladens, in den Kulturkellern der Republik hatten sich die<br />

antiparlamentarischen und parteikritischen bündischen Organisationen verkrochen. Die Mitgliederzahl<br />

der bündischen und völkischen Reformorganisationen wird mit Hunderttausenden angegeben und war<br />

letztlich deutlich höher, als vor dem Krieg. Walter Laqueur schrieb in seinem Aufsatz „George und die<br />

bündische Jugend“:<br />

„Während vor dem ersten Weltkrieg <strong>das</strong> Wandern im Mittelpunkt der Arbeit gestanden hatte, war<br />

es in der neuen Ära nur eine von vielen Aktivitäten, und nicht unbedingt die wichtigste.<br />

Der Wandervogel hatte der Gesellschaft kritisch gegenübergestanden, war aber nie auf den<br />

Gedanken verfallen, er sei berufen, die Welt zu verändern. Genau <strong>das</strong> aber wollten die Bünde tun;<br />

es war der romantische Versuch, es mit den Realitäten aufzunehmen. Im Wandervogel war die<br />

Gruppe ein verhältnismäßig lockerer Zusammenschluss gewesen; <strong>das</strong> Schwergewicht hatte auf<br />

dem einzelnen und seiner persönlichen Entwicklung gelegen; man hatte sich keine besonderen<br />

Gedanken um die Zukunft der Mitglieder gemacht, von denen erwartet wurde, <strong>das</strong>s sie nach und<br />

nach der Jugendbewegung entwachsen würden. Man hatte einer Gruppe angehört, weil es einem<br />

dort gefiel, es war wenig Überlegung und keinerlei Zweckdenken dabei im Spiele.<br />

In dem von Martin Voelkel und seinen Freunden geschaffenen Bund der Nachkriegszeit galt jedoch<br />

die Gemeinschaft mehr als der einzelne. Es herrschte strengere Disziplin, und man sah im Bund<br />

eine allumfassende Verpflichtung, die den Einzelnen für den Rest seines Lebens total<br />

310 Gruppe Magma: Die KPD und der Antisemitismus in: www.rote-ruhruni.org/texte/gruppe_magma_kpd_und_antisemitismus.shtml<br />

311 Gerd Koenen: Der Russland-Komplex, München, S. 331 f.<br />

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