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Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

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Bis Mitte der 20er Jahre bediente die DNVP <strong>das</strong> Nostalgiegefühl. Noch auf dem DNVP-Wahlplakat<br />

1924 warb der kaiserliche Grossadmiral v. Tirpitz um die Stimmen, später wurde die DNVP von<br />

Hugenberg auf Neokonservatismus getrimmt und für die Zukunft eines Dritten Reiches ausgerichtet.<br />

Die Blickrichtung wurde von rückwärts nach vorwärts, von der Vergangenheit in die Zukunft gedreht.<br />

Funktional, territorial und programmatisch war die DNVP die Linke der zwanziger Jahre. Funktional<br />

war sie die Partei der Wendeverlierer und um den Besitzstand dieser Verlierer besorgt. Territorial<br />

hatte sie ostelbische Hochburgen. Programmatisch war sie antikapitalistisch.<br />

Schwerpunkte lagen traditionell im Bundesland Preußen östlich der Elbe. In den westlichen<br />

preußischen Provinzen und in Süddeutschland waren die Ergebnisse unterdurchschnittlich. In den<br />

Hochburgen der Lebensreform Hessen und Thüringen sowie in erzkatholischen Gefilden mußte sich<br />

die Partei mit weit unter 10 % zufrieden geben. Die DNVP war dort stark, wo 80 Jahre später die Linke<br />

(PDS) ihre Hochburgen hatte, sie war dort schwach, wo auch die Linke keinen Masseneinfluß erringen<br />

konnte.<br />

Die DNVP war die Partei der Wendeverlierer von 1918: Junker, Offiziere, Beamte und protestantische<br />

Geistliche gehörten zum harten Kern, unter dem Eindruck der wirtschaftlichen und politischen Krise<br />

erreichte der Einfluß auch andere gebeutelte Schichten. 1924 hatte die DNVP 2 Millionen<br />

Arbeiterwähler. Ähnlich ist die Linke die Partei der Wendeverlierer von 1989: Geheimdienstler,<br />

Offiziere, Funktionäre und Lehrer des Marxismus-Leninismus gehören zum Stammpersonal. Wie bei<br />

der Linken war bei der DNVP die Vergangenheitsverklärung eine Grundlage für die Beliebtheit beim<br />

Wähler. Kern der Propaganda war nach dem Ersten Weltkrieg die Dolchstoß-Legende, die besagte,<br />

daß Deutschland durch innere Feinde und nicht durch äußere Feinde an der Front besiegt worden<br />

war. Bis Ende 1924 hatte die Partei die Oppositionsbänke gedrückt und war immer stärker geworden.<br />

Nicht die Lösungskompetenz war ihre Stärke, sondern die Erklärungskompetenz für den Niedergang.<br />

Wie bei der Linken 80 Jahre später, endete der Aufstieg der DNVP mit der Übernahme von<br />

Regierungsverantwortung.<br />

Die Dolchstoßlegende, die neben anderen Lügen <strong>das</strong> politische Klima der Republik vergiftete, war<br />

eine notwendige und gemeinsame Stütze der radikalen Reformisten, Konservativen und<br />

Monarchisten. Und sie war eine ideologische Klammer zwischen ihnen. Ohne diese<br />

geschichtsklitternde Krücke hätten sie Mitverantwortung für den verlorenen Krieg und <strong>das</strong> Abgleiten in<br />

diesen Krieg übernehmen müssen; schlimmer noch: sie hätte die Unterlegenheit des Deutschen Wegs<br />

und die faktische Überlegenheit der äußeren Feinde einräumen müssen. Die Legende hatte die<br />

Funktion, diese Verantwortung für die Niederlage insbesondere auf die Sozialdemokratie, und im<br />

allgemeinen auf alle Kräfte abzuwälzen, die 1917 für die Friedensresolution im Reichstag gestimmt<br />

hatten.<br />

Die Situation läßt sich mit der Treuhand-Legende der Linken vergleichen, die die Schuld für den<br />

Niedergang der DDR-Industrie auf die Privatisierungsbehörde ablud. Auch hier wurde nach<br />

Schuldigen gesucht und diese Schuldigen wurden gefunden: Es war nicht die Sowjetunion, die die<br />

Wirtschaft ausblutete, es waren auch nicht die devoten Knechte Moskaus im Politbüro, die die DDR-<br />

Wirtschaft hoffnungslos veralten ließen, sondern die Treuhand-Manager aus dem Westen, die die Ost-<br />

Industrie als mögliche Konkurrenz vernichten wollten.<br />

Jede Legende, so die Treuhand- wie die Dolchstoß-Legende schwimmt auf einem Meer der Lüge,<br />

jedoch gibt es immer ein winziges Tröpfchen Medizin in diesem Meer aus Gift, ein Körnchen Wahrheit.<br />

Westgewerkschaften und Westunternehmerverbände waren sich 1990 einig, nur kerngesunde DDR-<br />

Betriebe überleben zu lassen und bereits am Kriegsbeginn 1914 hatten sich jene Kräfte, die sich um<br />

Karl Liebknecht und später um die USPD geschart hatten, gegen den Siegfrieden engagiert. Diese<br />

Wahrheiten sind jedoch schräg. Die Treuhand kämpfte teilweise erfolgreich mit den Folgen der<br />

Sünden der Tarifparteien und die überwiegende Mehrheit der SPD folgte den bildungsbürgerlichen<br />

Kriegshetzern und den kaiserlichen Generälen bis zur Kapitulation.<br />

Soweit ist der funktionale Aspekt bestimmt. Für den territorialen Gesichtspunkt sprechen preußische<br />

Traditionen, besonders die des Militarismus. Es ist bestimmt kein Zufall, daß die junkerlichen<br />

Wendeverlierer der Novemberrevolution und die Wendeverlierer von 1989 extreme Militaristen waren.<br />

Sowohl <strong>das</strong> Kaiserreich wie auch die DDR hatten eine Vorliebe für Stiefel, Stiefelhosen, Koppel,<br />

Fahnen, Schirmmützen, Stahlhelme, Spinde, Gasmasken, Befehle, Stechschritt und<br />

Maschinengewehre. Manche Offiziere waren von der Reichswehr in die Wehrmacht und von dieser<br />

über <strong>das</strong> Nationalkomitee Freies Deutschland in die Kasernierte Volkspolizei übergewechselt. Nicht<br />

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