Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik
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kulturelles Phänomen. Die Periode verschiedener Zwangsarbeitsbrigaden in Arbeits-, Konzentrations-,<br />
Umerziehungs- und Vernichtungslagern korrespondiert mit der Blütezeit des sozialistischen<br />
Realismus.<br />
Ein inhaltlicher Ursprung des Sozialistischen Realismus läßt sich in die traditionelle Malerei des 19.<br />
Jh. zurückverfolgen, weil es ihm um die Arbeitsdarstellung und des Arbetsethos ging. In vielen<br />
Klassenzimmern hing um 1960 <strong>das</strong> Bild von den Steinbrechern von Robert Sterl. Den Steinbrechern<br />
schauten <strong>das</strong> Elend und die Ausbeutung aus allen Knopflöchern. So konnten sich die Schüler unter<br />
Anleitung der sozialistischen Lehrerschaft aus diesem Bild <strong>das</strong> Bild des Kapitalismus und der Arbeiter<br />
formen. Aber schon als <strong>das</strong> Bild gemalt wurde, handelte es sich um eine vorindustrielle,<br />
vorkapitalistische und vorbürgerliche handwerkliche Arbeitsdarstellung. Steine wurden in vielen<br />
deutschen Landgemeinden <strong>das</strong> erste Mal zum Faustkeil verarbeitet und <strong>das</strong> letzte Mal in den fünfziger<br />
oder sechziger Jahren des 20. Jh. zur Straßeninstandsetzung geklopft und <strong>das</strong> mußten die Bauern in<br />
Fron machen, als feudale vorindustrielle Tradition.<br />
Richtig ist, daß immer nur ein Teil der Arbeit als industrielle mechanisierte Arbeit anfällt. Es blieben<br />
immer vorindustrielle Arbeitsmethoden erhalten, ob im Handwerk, in der Bauindustrie, im<br />
Transportwesen oder bei zahlreichen Dienstleistungen. Aber die industrielle Arbeit war im 20. Jh. die<br />
beherrschende Form, die der Gesellschaft als Klassengesellschaft ihr Gesicht gab. Dieses Gesicht<br />
spiegelte sich im sozialistischen Realismus kaum wieder.<br />
Riesige Kerle mit Unterarmen wie Elephantenbeine zerschmetterten mit Riesenhämmern die<br />
Kuhketten des Weltkapitalismus und germanische Godzillas mähten <strong>das</strong> Getreide mit der Sense oder<br />
stampften barfüßig hinter dem Pflug her, daß die arme Erde bebte. Rotfront verteidigte Sowjetrußland<br />
mit bloßer Faust; Achim Preiss stellte kürzlich fest, daß die Symbole des Kommunismus, Hammer und<br />
Sichel, Werkzeuge von Kleingärtnern und Heimwerkern seien.<br />
Auch in der Sowjetunion wurde die Steinzeit gemalt. Im Bild "Die Bauarbeiter schreiben einen Brief an<br />
Stalin" waren Schaufel und Handsäge <strong>das</strong> einzige Werkzeug im näheren Umkreis. Nicht einmal ein<br />
Hammer stand zur Verfügung. "Die Hand im Haus ersetzt die Axt" hätte Friedrich v. Schiller anläßlich<br />
dieser fatalen Situation getextet.<br />
Arbeit an der Maschine war die bestimmende Arbeit, aber sie wurde nicht dargestellt. Sie transportiert<br />
nicht <strong>das</strong> Bild der kapitalistischen Ausbeutung als Anklage in die Gesellschaft. Dieses Bild erfordert<br />
immer die Darstellung körperlicher Anstrengung und damit die Darstellung vorindustrieller Arbeiten.<br />
Auch die von der kapitalistischen Ausbeutung "befreite" Arbeit wurde nicht immer im Zusammenhang<br />
mit Maschinen dargestellt, da auch hier der Aspekt der Anstrengung fehlt.<br />
Neben dem inhaltlichen kann man die formale Definition des sozialistischen Realismus beleuchten. Er<br />
war formal ein Coctail aus <strong>Romantik</strong> und Realismus, in welchem keine Strohhalme strammstanden,<br />
sondern russische und deutsche Einfaltspinsel.<br />
„Hierbei sollte die Art der Darstellung als Methode dem Realismus entnommen werden, der<br />
positive Geist und die Emotionen hingegen der <strong>Romantik</strong>, und so eine neue, revolutionäre<br />
<strong>Romantik</strong> entstehen. Es wurde auch darauf hingewiesen, <strong>das</strong>s die Wurzeln des sozialistischen<br />
Realismus weniger in der <strong>Romantik</strong> als vielmehr im Klassizismus zu finden seien. In beiden Fällen<br />
wurden alte Formen wiederverwendet um neue, gesellschaftspolitisch konforme Inhalte zu<br />
transportieren, häufig auf triviale Weise.“ 183<br />
Der befohlene sozialistische Realismus von Stalin, Hitler und Ulbricht wurde von den Werktätigen<br />
auch durchaus kritisch beleuchtet. In einem zeitgenössischen Witz hieß es: Der Impressionist malt<br />
was er sieht; der Expressionist malt was er fühlt; der sozialistische Realist malt was er hört.<br />
183 Wikipedia: Sozialistischer Realsimus<br />
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