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Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

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Einen mit vorbürgerlichen Tugenden und einer deutlichen Kapitalismuskritik gespickten Brief schrieb<br />

der Österreicher Hitler 1919 an Adolf Gemlich, nicht ohne den Juden in die Betrachtung mit<br />

einzubeziehen:<br />

"Der Tanz ums goldene Kalb wird zum erbarmungslosen Kampf um all jene Güter, die nach<br />

unserem inneren Gefühl nicht die höchsten und einzig erstrebenswerten auf dieser Erde sein<br />

sollten. Der Wert des einzelnen wird nicht mehr bestimmt durch seinen Charakter, der Bedeutung<br />

seiner Leistungen für die Gesamtheit, sondern ausschließlich durch die Größe seines Vermögens,<br />

durch sein Geld. Die Höhe der Nation wird nicht mehr gemessen werden nach der Summe ihrer<br />

sittlichen und geistigen Kräfte, sondern nur mehr nach dem Reichtum ihrer Güter. Aus diesem<br />

Fühlen ergibt sich jenes Denken und Streben nach Geld und Macht, die dieses schützt, <strong>das</strong> den<br />

Juden skrupellos werden läßt in der Wahl der Mittel, erbarmungslos in ihrer Verwendung zu<br />

diesem Zweck." 128<br />

Das jüdische Machtstreben konnte Hitler aus früheren Veröffentlichungen übernehmen. Nietzsche<br />

hatte im letzten Moment vor seiner endgültigen Verblödung geschrieben:<br />

"Ich lege Werth darauf, zunächst die Offiziere und die jüdischen Banquiers für mich zu haben: -<br />

Beide zusammen repräsentieren den Willen zur Macht. 129<br />

Adolf Hitlers antikapitalistischer Affekt ist ein weitverbreitetes Denkmuster der zwanziger Jahre und<br />

weit über diese Zeit hinaus. Eine gewisse Inkonsequenz des Gedankenmodells fällt sofort ins Auge.<br />

Der Jude wäre angeblich materialistisch und mäße nur in Geld und Gold. Aber er strebt darüber<br />

hinaus auch nach Macht. Aber ist ein nur nach Macht strebender Jude per Definition kapitalistisch?<br />

Die enge Verquickung des kapitalistischen Feindbildes mit dem Bild vom Juden führte Hitler immer<br />

wieder in theoretische Widersprüche, die sich praktisch jedoch erst nach 1944 ungünstig für die<br />

Nationalsozialisten auswirkten.<br />

Die angeblich kapitalistisch orientierten Juden engagierten sich überwiegend in antikapitalistischen<br />

Parteien. In der USPD, in der SPD, in der DDP und bei den frühen Bolschewiken waren Juden<br />

zahlreich vertreten. Für die antijüdische Propaganda entstand dadurch ein Problem der Vermittlung:<br />

Hitler löste es, indem er jüdisch-plutokratische und jüdisch-bolschewistische Systeme unterschied. Der<br />

jüdische Plutokrat war der englisch-amerikanisch-französische Geldjude, der jüdische Bolschewik war<br />

der bluttriefende bolschewistische Kriegskommissar, für den Bronstein-Trotzki <strong>das</strong> Ebenbild abgab.<br />

Im angeblich jüdisch-bolschewistischen Rußland war dem Streben nach Geld kein Raum gegeben.<br />

Das Geld war im Grundsatz abgeschafft, allenfalls noch als eine Art Wertmarke oder Notgeld im<br />

Verkehr, und der Reichtum wurde von der herrschenden Clique in Industrieanlagen für die<br />

Schwerindustrie und Rüstungsgüter verwandelt, während im Lande Hunger herrschte. Die Ökonomie<br />

Rußlands war in Wirklichkeit nach Hitlers Definition sehr unjüdisch, entsprach Hitlers Vorstellungen<br />

vom Juden letztlich nicht. Statt Mehrwert zu hecken wurde Gebrauchswert geschaffen, und dieser<br />

Gebrauchswert diente einem konkreten Ziel: der Erringung der Weltherrschaft. In Wirklichkeit war der<br />

Bolschewismus in der Verfolgung dieses konkreten Ziels auf Werte und Ideen ausgerichtet, viel mehr<br />

orthodox geprägt, als jüdisch und die Teilnahme von Juden an der Revolution hatte ab dem Ende der<br />

zwanziger Jahre sehr wenig Einfluß auf den Gang der weiteren Entwicklung. Die Bolschewiken hatten<br />

die Popen umgebracht, aber die etatistische Ideologie der Popen überlebte eingeschweißt in die<br />

Gedankenwelt der stalinistischen Partei. Man sprach wenn vom Moskauer System die Rede war, vom<br />

orthodoxen Kommunismus. Der flüchtige Jude Trotzki dagegen wurde in Mexiko von einem<br />

gedungenen Mörder des Georgiers Stalin mit dem Eispickel erschlagen.<br />

Alle nüchternen Überlegungen über eine unterschiedliche Entwicklungsgeschichte des<br />

angelsächsischen Kapitalismus und des orthodoxen Bolschewismus blieben den Nationalsozialisten<br />

unzugänglich, da sie sich an eine Verschwörungstheorie als fundamentale Grundlage klammerten. 130<br />

Das einzige logisch verbindende Element zwischen Kapitalismus und orthodoxer Staatswirtschaft<br />

blieb unter einem germanozentrischen Gesichtswinkel die Tatsache, daß es sich um Abweichungen<br />

128 www.popkultur.freewebsites.com/-brief-hitler.html<br />

129 Nietzsche: Fragmente Dezember 1888- Anfang Januar 1889, 25(11)<br />

130 Die Verschwörungstheorie als Begründung des nationalsozialistischen Gedankengebäudes erscheint primitiv,<br />

war aber zeitgemäß. Die Stalinisten sahen sich genauso wie die Nationalsozialisten als Kämpfer gegen eine<br />

weltweite kapitalistische Verschwörung.<br />

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