Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik
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der Spitze standen vorbürgerliche Kreise aus Kultur, Adel, Handwerk und Großlandwirtschaft. Fast in<br />
allen neokonservativen Konzeptionen spielte der Führergedanke und der Gedanke einer<br />
berufsständisch geprägten Ordnung eine überragende Rolle. Selbst den Begriff des Dritten Reichs<br />
gab es schon; Thomas Mann hatte diesen Begriff mitten im ersten Weltkrieg geprägt; 1918 bestellte<br />
die Oberste Heeresleitung bei Moeller van den Bruck eine Propagan<strong>das</strong>chrift, die mit dieser<br />
Formulierung schon im Titel aufmachte.<br />
Schleicher reflektierte insbesondere auf den linken Flügel der SA und den Allgemeinen Deutschen<br />
Gewerkschaftsbund ADGB. Er scheiterte in der Praxis mit seiner neokonservativen Revolution, weil<br />
Hitler die Spaltung seiner nationalsozialistischen Bewegung verhinderte, um seine Ziele selbst ohne v.<br />
Schleicher in die Tat zu setzen. Der linke NSDAP-Flügel hörte auf <strong>das</strong> Machtwort des Führers,<br />
widerstand dem Werben des Reichskanzlers und damit stand die stärkste bündische Bewegung nicht<br />
für Schleichers Pläne zur Verfügung. Auch die Gewerkschaften wollten nicht alleine mit dem<br />
schillernden Schleicher paktieren. Alle anderen nichtparteigebundenen Bataillone waren viel zu<br />
schwach, um es mit der Hitler-Bewegung aufnehmen zu können. Da v. Schleicher auch die<br />
Gewerkschaften für die Teilhabe an der Macht ausersehen hatte, fiel er bei Reichspräsident v.<br />
Hindenburg in Ungnade. Die neokonservative Revolution fand ihr Ziel mit der Abberufung v.<br />
Schleichers und der Berufung Hitlers zum Reichskanzler.<br />
Diese Berufung erfolgte am 30.01.1933. Der Widerstand dagegen war mehr als gering. Die<br />
reformistischen, bäuerlichen und konservativen Parteien hatten mit der Machtergreifung Hitlers ihre<br />
politischen Ziele erreicht, sie glaubten selbst nicht mehr an ihre Notwendigkeit, ihre Wiedererstarkung<br />
und ihre Rückkehr auf die Regierungsbänke. Was sollten sie als Marionetten der<br />
zwangswirtschaftlichen verfaßten Verbände noch weiter auf der Reichstagsbühne die Kasperle<br />
spielen, wenn diese Verbände längst den Nationalsozialisten gehorchten?<br />
Die Sozialdemokraten waren nicht mehr jene, die sie im Kaiserreich gewesen waren. Aus der<br />
Hoffnung auf den sozialistischen Zukunftsstaat war die Einsicht in sehr begrenzte politische<br />
Möglichkeiten geworden, die Defensive bestimmte seit Jahren die Taktik der SPD, die 1930 ein<br />
Durchschnittsalter der Mitglieder von 44 Jahren aufwies. Zwischen dem rabiaten Antikapitalismus der<br />
Intellektuellen, Handwerker und Bauern einerseits und dem rabiaten Antikapitalismus von Moskaus 5.<br />
Kolonne war der Platz, um zerrieben und zermürbt zu werden. Die Defensive der SPD ergab sich nicht<br />
zuletzt aus ihrer Verkettung mit dem ADGB. ADGB und SPD hatten 15 Jahre reine Klientelpolitik für<br />
die organisierte Arbeiterschaft vor allem der Großbetriebe getrieben. Für die noch kleineren Leute wie<br />
Arbeitslose, Kleinbauern und nicht organisierte proletaroide Existenzen hatte die SPD vielleicht ein<br />
Herz, jedoch keine hilfreichen ökonomischen Konzepte. Im Gegenteil benachteiligte sie diese<br />
angrenzenden Milieus faktisch erkennbar. Jeder tariflich erstrittene Groschen für die Organisierten<br />
schmälerte <strong>das</strong> Einkommen der Nichtorganisierten. Die SPD hatte sich lange vor ihrem Verbot in ein<br />
arbeiteraristokratisches 20-Prozent-Ghetto zurückgezogen, aus dem heraus sie 1933 nicht mehr<br />
erfolgreich operieren konnte. Franz Oppenheimer hatte bereits 1914 weitsichtig geschrieben:<br />
„Die deutsche Sozialdemokratie z. B. ist stark geneigt, sich zur einseitigen Vertretung der<br />
Industriearbeiter zu entwickeln, während doch der Landarbeiter auch existiert, leidet und aufwärts<br />
will.“ 413<br />
„Die letzte Wahl für die nächsten hundert Jahre“<br />
Die Reichstagswahl vom März 1933 war die vierte Wahl in der Krise und es sollte die letzte werden.<br />
Denn: „Nichts ist so mächtig wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist.“ (Victor Hugo).<br />
Hitler verkündigte ein populäres Konzept, <strong>das</strong> einen Paradigmenwechsel bedeutete: Der Wahlkampf<br />
1933 sei die letzte Wahl für die nächsten hundert Jahre. Viele Wähler waren regelrecht süchtig auf<br />
ihre eigene Entmachtung, auf <strong>das</strong> Ende der Demokratie, <strong>das</strong> Ende der Idee der Volkssouveränität.<br />
Das Plebiszit über die Alleinherrschaft und Allmacht Hitlers, die Abstimmung über die Einführung des<br />
Führerprinzips und des Schönheitsstaats hatte deshalb eine sehr hohe Wahlbeteiligung.<br />
413 F. Oppenheimer: Demokratie in: Der Staatsbürger, München u. a., Bd. 5, 1914, S. 18-35 und 57-68<br />
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