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Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

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"...neben vielem Schrecklichen doch auch viel ungeahnt Grosses und Schönes: Die glatte Lösung<br />

der schwierigsten innenpolitischen Fragen durch die Einigung aller Parteien, ...die Höherbewertung<br />

alles Tüchtigen und Echten..."<br />

Das betrachtete Wählermilieu, <strong>das</strong> sich am Anfang der Republik für die Reformparteien entschieden<br />

hatte, kann man als Reformmilieu, als Reformklientel bezeichnen. Je oberflächliger in der Aneignung<br />

der Reformideen die Anhänger dieser Parteien sich verhielten, desto mehr könnte man sie boshaft als<br />

Reformkundschaft benennen. Es bestand ganz überwiegend aus zum Heidentum tendierenden<br />

Protestanten. Die gewerkschaftliche Bindung des Reformklientels war sehr gering ausgeprägt.<br />

In hohem Maße gehörten unter dem kulturellen Aspekt zum Reformklientel die Anhänger von<br />

Reformbewegungen: Wandervögel, Nudisten, Vegetarier, Erziehungs-, Wohn-, Ernährungs-,<br />

Kleidungs- und Sexualreformer, Träger von Gesundheitssandalen, Esoteriker, Antroposophen,<br />

Kleingärtner und Sonnenanbeter. Es handelte ökonomisch um Mitgleder von Ständen wie Handwerker<br />

mit und ohne Meisterbrief, "aufgeklärte" Beamte, Krämer, Angehörige der freien Berufe und modernen<br />

Zwischenschichten wie Redakteure, Angestellte, Künstler und Handlungsreisende. Teile des<br />

Reformklientels wählten selbstverständlich auch sozialdemokratisch und kommunistisch.<br />

Eigentlich benötigt fast niemand von den aufgeführten Berufsgruppen die Marktwirtschaft, um zu<br />

existieren. Die Geschichte der Zünfte und Gilden beweist <strong>das</strong>, Handwerker und Krämer können sich in<br />

der geplanten Mangelwirtschaft hervorragend einrichten, wie die Geschichte des Dritten Reiches, der<br />

DDR oder des späten Mittelalters zeigt. Der Landwirt und der Handwerker wurden regelrecht die<br />

Hätschelkinder des Dritten Reiches. Lediglich Journalisten und Rechtsanwälte waren damals etwas<br />

eingeschränkt. Wie die Beispiele de Maiziere, Gysi, Schnur und Diestel zeigen, gab es auch bei den<br />

Rechtsanwälten Ausnahmen. Der einzelne <strong>braucht</strong> die Marktwirtschaft nicht sofort und nicht<br />

vordergründig, der Mittelständler und der Kulturreformer benötigen sie auch nicht, aber die ganze<br />

Gesellschaft kommt ohne Marktwirtschaft nicht aus, wie wiederum <strong>das</strong> Ende der Weimarer Republik,<br />

<strong>das</strong> Ende des Dritten Reiches und <strong>das</strong> Ende der DDR beweisen.<br />

Für den oberflächlichen Betrachter liefen die liberalen Wähler in Scharen zum Nationalsozialismus<br />

über. Der Untergang der Mittelparteien DDP, DVP, Wirtschaftspartei und Volksrechtspartei und <strong>das</strong><br />

Überlaufen der Wähler dieser Parteien zur NSDAP hängt nicht mit liberalistischen oder gar<br />

marktwirtschaftlichen Konzepten dieser Parteien zusammen, die in der Weltwirtschaftskrise<br />

scheiterten. Liberale und marktwirtschaftliche Konzepte wurden von den Mittelparteien in der ganzen<br />

Periode der Weimarer Republik definitiv nicht verfolgt, nicht einmal von kleinen Zirkeln innerhalb<br />

dieser Parteien.<br />

Lediglich in Österreich gab es einen unermüdlichen Einzelkämpfer für den Liberalismus, Ludwig, Edler<br />

von Mises. Er hatte bereits 1922 <strong>das</strong> Buch „Die Gemeinwirtschaft“ veröffentlicht, in dem er bewies,<br />

<strong>das</strong>s reine Planwirtschaft auf Dauer nicht existieren könne, weil es in ihr keine Möglichkeit gäbe,<br />

Preise zu bestimmen. 1927 erschien sein Werk „Liberalismus“, in dem er völlig gegen den Strom der<br />

Zeit marktwirtschaftliches Denken gegen den Raubtierbürokratismus der turbosozialistischen<br />

Staatsformen verteidigte.<br />

Die Mittelparteien hatten von den Theorien Mises keine Ahnung; sie gingen nicht unter, weil sie sich<br />

vom Programm der Nationalsozialisten absetzten, sondern weil sie selbst nationalsozialistische<br />

Konzepte in der Wirtschaftspolitik verfolgten und diese Ansätze spätestens in der Weltwirtschaftskrise<br />

scheiterten. Es ist ein Paradoxum, aber Hitler gewann und errang die Macht mit einem vorher<br />

gescheiterten Konzept der Wirtschaftspolitik. Er war ein Gescheiterter, bevor er die Regierung<br />

übernahm. Worin sich Hitler wirtschaftspolitisch von den Regierungen der Präsidentschaft Hindenburg<br />

unterschied, war lediglich sein lockerer Umgang mit der Notenpresse und dem Kredit. Deshalb konnte<br />

er sich bis zum Ausbruch des Weltkriegs 6 Jahre lang wirtschaftspolitisch unberechtigterweise in sehr<br />

guter Erinnerung halten. 1938 <strong>braucht</strong>e er jüdisches Geld und 1939 mußte er spätestens mit dem<br />

Krieg beginnen, um die mittlerweile latenten Folgen der Schuldenwirtschaft zu überdecken und <strong>das</strong><br />

Platzen der Kreditblase bis 1945 hinauszuzögern.<br />

Biografien zwischen Spätkaiserreich und Drittem Reich<br />

Der antidemokratische Impuls der Reformbewegung verringerte die Distanz zu Adolf Hitler, der<br />

oftmals auch vorhandene avantgardistische und individualistische Zug erhöhte bei führenden<br />

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