Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik
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Die ideologisch gefärbte Auffassung der Kommunisten besagte und besagt, daß Nationalsozialisten<br />
Faschisten seien, weil Nationalsozialismus nichts mit Sozialismus zu tun hätte. Der Sozialismus-<br />
Begriff werde durch den Nationalsozialismus-Begriff beschmutzt.<br />
Natürlich hat der Nationalsozialismus mit dem elitaristischen Stalinismus und dem Faschismus<br />
Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Gemeinsam ist <strong>das</strong> wesentliche: die Ablehnung von Demokratie<br />
und Marktwirtschaft. Unterschiedlich sind die sozialen Wurzeln. Der Nationalsozialismus bediente<br />
vorrangig vorbürgerliche Gesellschaftsschichten mit vorbürgerlichen Ideen, während der Stalinismus<br />
ehemalige Kronbauern und Leibeigene mit vorbürgerlichen Ideen bediente. Der Faschismus<br />
schließlich schaffte es zwei Jahrzehnte lang, vorbürgerliche Gesellschaftsschichten, die Avantgarde<br />
und die Industriearbeiterschaft mit vorbürgerlichen Ideen zu bedienen.<br />
Der Marxismus schöpfte aus sehr unterschiedlichen Quellen: neben dem klaren und rationalen Quell<br />
der bürgerlichen politischen Ökonomie wurde der Marxismus aus den trüben Wassern vorbürgerlicher<br />
sozialromantischer Utopien und dem Schlamm spekulativer Denkfiguren der Hegelei gespeist und<br />
zusammengerührt. Selbst der zweite Hohepriester am Altar des marxistischen Sozialismus, Friedrich<br />
Engels war sich über den Schwachsinn der Hegel´schen Denkfigur "Negation der Negation" beim<br />
Suchen nach Zukunftsentwürfen bewußt.<br />
Der Nationalsozialismus hat von der gesellschaftlichen Perspektive her (vorwärts oder rückwärts)<br />
mehr mit dem elitaristischen Sozialismus zu tun, als mit der Demokratie. Aber er hat einen speziellen<br />
Charakter, der mit dem Begriff und der Tradition des elitaristischen Sozialismus nicht einfach<br />
abgedeckt werden kann. Die verbogene Sonne des deutschen Nationalsozialismus deckt weder den<br />
roten Mond des "realen" Sozialismus noch den braunen des italienischen Faschismus so perfekt ab,<br />
daß eine totale Finsternis entsteht. Der Unterschied zum Faschismus definiert sich von der Tradition<br />
her, eine Differenz gibt es auch unter dem Gesichtspunkt des Antisemitismus, der in Italien wenn<br />
überhaupt nur eine sehr untergeordnete Rolle spielte. Auch die Rolle des Germanentums wurde sehr<br />
unterschiedlich interpretiert. Mussolini siedelte massenhaft Süditaliener ins germanische Südtirol um.<br />
Als Hitler im Frühjahr 1934 Italien besuchte, hielt er Mussolini belehrende Vorträge darüber, daß alle<br />
mediterranen Völker mit Negerblut belastet seien. Nach dem Röhm-Putsch vom Juni 1934 verschaffte<br />
sich Mussolini Genugtuung, indem er die NS-Bewegung als eine Bewegung von Päderasten<br />
verspottete. Im Juli 1935 erklärte die faschistische "Gerarchia", daß die Unterschiede zwischen<br />
Faschismus und Nationalsozialismus tiefgreifend und unzweideutig seien. 428<br />
Wenn man alle Gesichtspunkte zusammenstellt, so ergibt sich der Schluß, daß man Begriffe<br />
vermanscht, wenn man Faschismus und Nationalsozialismus einfach gleichsetzt. Italia und Germania<br />
waren sich in wirtschaftsgeschichtlichen Details des Traditionalismus und Korporatismus und in der<br />
durch Traditionalismus und Korporatismus begünstigten Kulturkrise sehr nahe; sie waren gemeinsam<br />
dem Wahn von Schönheit, Vortrefflichkeit und Vollkommenheit verfallen, aber sie haben auch eine<br />
beschreibbare Distanz zueinander. Den nur auf die Kultur schielenden Redakteuren erschließt sich<br />
der Unterschied auch in der bildenden Kunst: Was bei Hitler als entartete Kunst verschrien war, genoß<br />
bei Mussolini höchste und offizielle Anerkennung. Die Dadaisten, die in Deutschland als entartet<br />
gebrandmarkt wurden, standen in Italien neben den Futuristen als Heizer auf der faschistischen<br />
Lokomotive, der führende Dadaist Julius Evola entwickelte sich vom Dadaisten zum radikalen<br />
Elitetheoretiker, der Mussolini wegen seiner bürokratischen Lenkungsmethoden und wegen seines<br />
Pseudoegalitarismus kritisierte und schließlich im Nachkriegsitalien zum intellektuellen Führer der<br />
Neofaschisten wurde. 429<br />
In Italien waren die Futuristen die radikalsten Faschisten, in Deutschland belieferten sie <strong>das</strong> Bauhaus,<br />
den Dadismus und den Bolschewismus mit Kadern.<br />
Wenn man den Nationalsozialismus als Faschismus bezeichnet, ebnet man den wichtigsten<br />
Unterschied ein, der den antisemitischen Nationalsozialismus vom berufsständischen Faschismus<br />
trennt. Berufsständische Vorstellungen und Gesellschaftsmodelle waren in vielen Ländern Europas<br />
und in vielen Parteien dieser Länder salonfähig oder wurden offen praktiziert. Sozialdemokraten<br />
hatten gewerkschaftlich geprägte Vorstellungen, die Demokraten faselten von der Volksgemeinschaft<br />
und verschafften den Freiberuflern Privilegien, die Bauern erhielten Osthilfe und zahlreiche andere<br />
Hilfen für die sogenannte "notleidende Landwirtschaft", die Industrie war straff in Kartellen organisiert,<br />
428 Stanley Payne: "Geschichte des Faschismus", Propyläen, S. 285 ff.<br />
429 s.o. S. 615 ff.<br />
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