15.11.2012 Aufrufe

Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Die ideologisch gefärbte Auffassung der Kommunisten besagte und besagt, daß Nationalsozialisten<br />

Faschisten seien, weil Nationalsozialismus nichts mit Sozialismus zu tun hätte. Der Sozialismus-<br />

Begriff werde durch den Nationalsozialismus-Begriff beschmutzt.<br />

Natürlich hat der Nationalsozialismus mit dem elitaristischen Stalinismus und dem Faschismus<br />

Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Gemeinsam ist <strong>das</strong> wesentliche: die Ablehnung von Demokratie<br />

und Marktwirtschaft. Unterschiedlich sind die sozialen Wurzeln. Der Nationalsozialismus bediente<br />

vorrangig vorbürgerliche Gesellschaftsschichten mit vorbürgerlichen Ideen, während der Stalinismus<br />

ehemalige Kronbauern und Leibeigene mit vorbürgerlichen Ideen bediente. Der Faschismus<br />

schließlich schaffte es zwei Jahrzehnte lang, vorbürgerliche Gesellschaftsschichten, die Avantgarde<br />

und die Industriearbeiterschaft mit vorbürgerlichen Ideen zu bedienen.<br />

Der Marxismus schöpfte aus sehr unterschiedlichen Quellen: neben dem klaren und rationalen Quell<br />

der bürgerlichen politischen Ökonomie wurde der Marxismus aus den trüben Wassern vorbürgerlicher<br />

sozialromantischer Utopien und dem Schlamm spekulativer Denkfiguren der Hegelei gespeist und<br />

zusammengerührt. Selbst der zweite Hohepriester am Altar des marxistischen Sozialismus, Friedrich<br />

Engels war sich über den Schwachsinn der Hegel´schen Denkfigur "Negation der Negation" beim<br />

Suchen nach Zukunftsentwürfen bewußt.<br />

Der Nationalsozialismus hat von der gesellschaftlichen Perspektive her (vorwärts oder rückwärts)<br />

mehr mit dem elitaristischen Sozialismus zu tun, als mit der Demokratie. Aber er hat einen speziellen<br />

Charakter, der mit dem Begriff und der Tradition des elitaristischen Sozialismus nicht einfach<br />

abgedeckt werden kann. Die verbogene Sonne des deutschen Nationalsozialismus deckt weder den<br />

roten Mond des "realen" Sozialismus noch den braunen des italienischen Faschismus so perfekt ab,<br />

daß eine totale Finsternis entsteht. Der Unterschied zum Faschismus definiert sich von der Tradition<br />

her, eine Differenz gibt es auch unter dem Gesichtspunkt des Antisemitismus, der in Italien wenn<br />

überhaupt nur eine sehr untergeordnete Rolle spielte. Auch die Rolle des Germanentums wurde sehr<br />

unterschiedlich interpretiert. Mussolini siedelte massenhaft Süditaliener ins germanische Südtirol um.<br />

Als Hitler im Frühjahr 1934 Italien besuchte, hielt er Mussolini belehrende Vorträge darüber, daß alle<br />

mediterranen Völker mit Negerblut belastet seien. Nach dem Röhm-Putsch vom Juni 1934 verschaffte<br />

sich Mussolini Genugtuung, indem er die NS-Bewegung als eine Bewegung von Päderasten<br />

verspottete. Im Juli 1935 erklärte die faschistische "Gerarchia", daß die Unterschiede zwischen<br />

Faschismus und Nationalsozialismus tiefgreifend und unzweideutig seien. 428<br />

Wenn man alle Gesichtspunkte zusammenstellt, so ergibt sich der Schluß, daß man Begriffe<br />

vermanscht, wenn man Faschismus und Nationalsozialismus einfach gleichsetzt. Italia und Germania<br />

waren sich in wirtschaftsgeschichtlichen Details des Traditionalismus und Korporatismus und in der<br />

durch Traditionalismus und Korporatismus begünstigten Kulturkrise sehr nahe; sie waren gemeinsam<br />

dem Wahn von Schönheit, Vortrefflichkeit und Vollkommenheit verfallen, aber sie haben auch eine<br />

beschreibbare Distanz zueinander. Den nur auf die Kultur schielenden Redakteuren erschließt sich<br />

der Unterschied auch in der bildenden Kunst: Was bei Hitler als entartete Kunst verschrien war, genoß<br />

bei Mussolini höchste und offizielle Anerkennung. Die Dadaisten, die in Deutschland als entartet<br />

gebrandmarkt wurden, standen in Italien neben den Futuristen als Heizer auf der faschistischen<br />

Lokomotive, der führende Dadaist Julius Evola entwickelte sich vom Dadaisten zum radikalen<br />

Elitetheoretiker, der Mussolini wegen seiner bürokratischen Lenkungsmethoden und wegen seines<br />

Pseudoegalitarismus kritisierte und schließlich im Nachkriegsitalien zum intellektuellen Führer der<br />

Neofaschisten wurde. 429<br />

In Italien waren die Futuristen die radikalsten Faschisten, in Deutschland belieferten sie <strong>das</strong> Bauhaus,<br />

den Dadismus und den Bolschewismus mit Kadern.<br />

Wenn man den Nationalsozialismus als Faschismus bezeichnet, ebnet man den wichtigsten<br />

Unterschied ein, der den antisemitischen Nationalsozialismus vom berufsständischen Faschismus<br />

trennt. Berufsständische Vorstellungen und Gesellschaftsmodelle waren in vielen Ländern Europas<br />

und in vielen Parteien dieser Länder salonfähig oder wurden offen praktiziert. Sozialdemokraten<br />

hatten gewerkschaftlich geprägte Vorstellungen, die Demokraten faselten von der Volksgemeinschaft<br />

und verschafften den Freiberuflern Privilegien, die Bauern erhielten Osthilfe und zahlreiche andere<br />

Hilfen für die sogenannte "notleidende Landwirtschaft", die Industrie war straff in Kartellen organisiert,<br />

428 Stanley Payne: "Geschichte des Faschismus", Propyläen, S. 285 ff.<br />

429 s.o. S. 615 ff.<br />

353

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!