Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik
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Die Primitivität der Formensprache, die grellen schwarzen, gelben und roten Ornamente wie auch die<br />
naiven Vorstellungen von den Fortpflanzungsvorbereitungen der Naturkinder lieferten den Dresdner<br />
Malern eine perfekte antibürgerliche und antiakademische Plattform zum Bruch mit der Konvention<br />
und zur Provokation der materialistischen Philister.<br />
Farben und Maltechnik pappten die nackten Figuren (Personen sind dreidimensional) mit dem<br />
Hintergrund in einer Ebene zusammen. Die Erde war wieder eine Scheibe. Der glatte Hintergrund<br />
erzeugte ein zweidimensionales Raumgefühl, die Körper hatten ornamentale eckige Umrisse und<br />
wirkten hölzern, wie mit der Laubsäge aus Sperrholz gefertigt und hinterher rosa oder grünlich<br />
angelegt. Geschlechtsteile wurden größer dargestellt, als sie in der Örtlichkeit vorgefunden wurden.<br />
Später wurden die afrikanischen Modelle Sam und Milli angeheuert, welche die Distanz zwischen<br />
Dichtung und Wahrheit wieder verringerten. Kirchner begründete seine formal etwas hinfälligen<br />
Creationen tiefgründig-germanisch.<br />
„Der Romane gewinnt seine Form aus dem Objekt aus der Naturform. Der Germane schafft die<br />
seine aus der Phantasie, aus der inneren Vision, und die Form der sichtbaren Natur ist ihm ein<br />
Symbol. Für den Romanen liegt die Schönheit in der Erscheinung, der andere sucht sie hinter den<br />
Dingen.“<br />
Der andere war trotz aller Exotik deutsch-bedeutungsvoll.<br />
Am 12. September 1914 schrieb der Blaue-Reiter-Maler Franz Marc in diesem tiefgründigen<br />
ideologisch-teutonisch-verbohrten Geist von der Front an seine Frau Maria:<br />
„Ich denke so viel über diesen Krieg nach und komme zu keinem Resultat; wahrscheinlich, weil die<br />
›Ereignisse‹ mir den Horizont versperren. Man kommt nicht über die Aktion hinweg, um den Geist<br />
der Dinge zu sehen. Jedenfalls macht der Krieg aus mir keinen Naturalisten, - im Gegenteil: ich<br />
fühle den Geist, der hinter den Schlachten, hinter jeder Kugel schwebt, so stark, <strong>das</strong>s <strong>das</strong><br />
Realistische, Materielle ganz verschwindet.“ 60<br />
Einbildung ist auch eine Bildung.<br />
Der Name der Künstlerkommune „Brücke“ kann naturgemäß missgedeutet werden. Es handelt sich<br />
weder um eine Brücke von Dresden zum Palau-Archipel, auch nicht um eine Brücke der Kulturen im<br />
allgemeineren Sinne. Vielmehr war Friedrich Nietzsche der Sinn- und Namensgeber:<br />
„Was groß ist am <strong>Menschen</strong>, <strong>das</strong> ist, <strong>das</strong>s er eine Brücke und kein Zweck ist: was geliebt werden<br />
kann am <strong>Menschen</strong>, <strong>das</strong> ist, <strong>das</strong>s er ein Übergang und ein Untergang ist...“<br />
Der Begriff des Expressionismus wurde nur in den deutschsprachigen Ländern verwendet, Herwarth<br />
Walden sprach 1913 ausdrücklich von „Deutschen Expressionisten". Herwarth Walden war ein<br />
teutschtümelnder Künstlername, den Elsa Lasker-Schüler frei erfunden hatte.<br />
„Vor dem Ersten Weltkrieg war der Expressionismus also fast zum Synonym für den aktuellen<br />
deutschen Anteil am internationalen Kunst- und Kulturgeschehen geworden. Eine solche<br />
Nationalisierung erfolgte, obwohl überdeutlich war, mit welcher Macht Impulse aus dem Ausland in<br />
die Malerei des Expressionismus einströmten. Die deutsche Kunstszene stritt <strong>das</strong> allerdings gerne<br />
ab.“ 61<br />
„Mit revolutionärer Verve erschienen jetzt, seit cirka 1905, die Deutschen, ihre Begabung zum<br />
faustischen in der Moderne einzubringen und der französischen Avantgarde endlich ein<br />
Gegengewicht zu bieten, eines, <strong>das</strong> aus ihrer nationalen Psyche resultierte. Eines, <strong>das</strong> sich in<br />
Worte wie die folgenden kleiden ließ: ´Der deutsche Mensch, <strong>das</strong> ist der dämonische Mensch an<br />
sich....Umgetrieben, umgewirbelt von solcher Dämonie des Werdenden und niemals Seienden<br />
erscheint der Deutsche den anderen Völkern.´ So 1925 der idealistische Philosoph Leopold Ziegler<br />
(1881 – 1958) in dem Buch ´Das Heilige Reich der Deutschen´ ... Fiebernde Unrast, Bevorzugung<br />
60 Detlev Lücke: Vorausschauender Rückblick. Das XX. Jahrhundert. Ein Jahrhundert Kunst in Deutschland. Altes<br />
Museum, <strong>Neue</strong> Nationalgalerie, Hamburger Bahnhof bis 9. Januar 2000. Der Katalog zur Ausstellung<br />
61 Norbert Wolf: Expressionismus, Taschen, Köln, Seite 6<br />
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