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Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

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Sombart stilisierte den Weltkrieg unter der griffigen Formel „Händler gegen Helden“ zum<br />

Befreiungskrieg gegen den weltbeherrschenden britischen Freihandelskapitalismus. Deutschland sei<br />

der letzte Damm gegen die Woge des Kommerzialismus und den zersetzenden Geist des<br />

Mammonismus. Die mächtige Pflugschar des Krieges, die <strong>das</strong> fruchtbare Erdreich aus den Tiefen der<br />

Seele wieder nach oben befördere, erweise die Deutschen als ein junges Volk. Der Krieg sei<br />

Entscheidungskampf zwischen westeuropäischer Zivilisation und deutschem Barbarentum.<br />

Im bellizistischen Biotop der Reformbewegung war es nach dem beendeten Waffengang relativ leicht,<br />

eine Einstufung als Pazifist zu ergattern. Hermann Hesse erlangte diese Aura sehr wohlfeil: Er<br />

meldete sich unmittelbar nach Kriegsausbruch als Freiwilliger und wurde wegen einem Augenleiden<br />

ausgemustert. Er wurde der deutschen Botschaft in Bern für den Dienst bei der deutschen<br />

Kriegsgefangenenfürsorge in Bern zugewiesen. In diesem Rahmen sammelte und versendete Hesse<br />

Bücher für deutsche Kriegsgefangene. Er wurde Mitherausgeber der „Deutschen Interniertenzeitung“<br />

und Herausgeber des „Sonntagsboten für die deutschen Kriegsgefangenen“. Knapp zwei Monate<br />

nach Kriegsbeginn veröffentlichte er am 3.11.1914 in der NZZ einen Artikel mit der headline „Oh<br />

Freunde, nicht diese Töne“:<br />

„Wohlverstanden, es geht nicht gegen die vaterländische Gesinnung und die Liebe zum eigenen<br />

Volkstum. Ich bin der letzte, der in dieser Zeit sein Vaterland verleugnen möchte, und es würde mir<br />

nicht einfallen, einen Soldaten vom Erfüllen seiner Pflichten abzuhalten. Da man jetzt am Schießen<br />

ist, soll geschossen werden – aber nicht des Schießens und der verabscheuungswürdigen Feinde<br />

wegen, sondern um so bald wie möglich eine höhere und bessere Arbeit wieder aufzunehmen.“<br />

Er war manifest, dieser Glauben, <strong>das</strong>s nach dem Krieg alles besser sein würde. Hesse war kein<br />

Pazifist, sondern eher der Werwolf im Schafspelz. Hermann Hesse schrieb „Der Künstler an die<br />

Krieger”:<br />

„Die ihr draußen in den Schlachten standet / Seid mir Brüder nun und mir geliebt”. 46<br />

„Mein Vorschlag, nach Friedensschluß die Kriegsliteraten einzufangen und vor den Invaliden<br />

auszupeitschen, ist unerfüllt geblieben“ beklagte Karl Kraus nach Kriegsende.<br />

Reformistische Einflüsse in der Literatur der Spätkaiserzeit<br />

Sei nicht mehr die weiche Flöte,<br />

Das idyllische Gemüt –<br />

Sei des Vaterlands Posaune<br />

Sei Kanone, sei Kartaune,<br />

Blase, schmettre, donnre, töte!<br />

Heinrich Heine, 1844<br />

Jedem Krieg gehen Gedanken und Worte voraus. Bevor geschossen wird, wird gedacht, gedichtet<br />

und geschrieben, zum Schluß wird <strong>das</strong> Geschriebene vertont und gesungen. Obige Strophe von<br />

Heine aus dem Gedicht „Die Tendenz“ von 1844 war ironisch gemeint und bezog sich auf<br />

nationalpatriotische Gedichte wie „Der deutsche Rhein“, „Die Wacht am Rhein“ und „Das Lied vom<br />

Hasse“.<br />

„Wohlauf, wohlauf, über Berg und Fluß<br />

Dem Morgenrot entgegen,<br />

Dem treuen Weib den letzten Kuß,<br />

Und dann zum treuen Degen!<br />

Bis unsre Hand in Asche stiebt,<br />

Soll sie vom Schwert nicht lassen;<br />

Wir haben lang genug geliebt<br />

Und wollen endlich hassen!“<br />

So dichtete Georg Herwegh 1841 gegen die Tyrannen, so wie andere im gleichen Stile poetisch über<br />

die Franzosen herfielen. Heinrich Heine machte sich ganz offensichtlich lustig über jene patriotische<br />

Gedanken und Reime, vielleicht mit einer resignativen Ahnung von der Macht des Worts. Die<br />

46 Die Dichter und der Krieg, Von Michael Jürgs, FAZ.net<br />

47

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