Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik
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Der Kapitalmangel hatte seinen Ursprung nicht allein im Bermudadreieck der Inflation, der<br />
Reparationen und der Besatzungskosten. Sicher waren die Reparationen ein zusätzlicher Abzug vom<br />
zu verteilenden Kuchen. Neben diesem Abzug wogen jedoch auch die relativ hohen Zinsen für die<br />
kurzfristigen Auslandskredite schwer. Vor allem hatte nach dem Krieg niemand den Mut besessen,<br />
den verschiedenen Teilnehmern am Wirtschaftsleben zu sagen, daß nach dem Kriege die<br />
Kriegskosten und die nachfolgenden Reparationskosten einen erheblichen Abzug vom zu verteilenden<br />
Produkt bedeuten würden, also einen Abzug von Gewinnen, Löhnen, Gehältern, Arbeitseinkommen<br />
aus eigener Arbeit, Mieten und Kapitalerträgen. Die Inflation von 1919 bis 1923 beseitigte die inneren<br />
Staatsschulden auf Kosten in- und ausländischer Geldvermögen. Es blieben jedoch die<br />
Reparationsleistungen zu begleichen und mehr noch <strong>das</strong> Eigenkapital der Betriebe aufzufrischen.<br />
Statt eigene Anstrengungen zu fordern, wurde der Achtstundentag mit zusätzlichen Lohnkosten<br />
eingeführt und die Kosten für den industriellen Aufschwung wurden über Kredite abgedeckt. Diese<br />
Unehrlichkeit und Unsolidität rächte sich in der Krise.<br />
Ein Fehler war die Vorfahrt beim Kampf um den Ecklohn gegenüber der Bekämpfung der<br />
Arbeitslosigkeit. Jahrelang wurde die Illusion genährt, daß die Arbeitslosigkeit von vorübergehender<br />
Dauer wäre, selbst in Phasen konjunktureller Überhitzung sank die Arbeitslosigkeit jedoch nie unter 7<br />
%. Die Arbeitslosenhilfe selbst war sehr mangelhaft organisiert, so daß für die Arbeitslosen ein hoher<br />
Anreiz bestand, sich Arbeit zu suchen. Dieser Anreiz bewirkte jedoch nichts, da <strong>das</strong> Verhältnis von<br />
Sozialprodukt, Lohnhöhe und Kapitalstock gestört war. Selbst bei einer soliden Politik hätte es große<br />
Probleme bereitet, <strong>das</strong> im Weltkrieg gestörte gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht wieder herzustellen.<br />
Ein einseitiger Vorrang für die Wiederherstellung des Kapitalstocks hätte bei den von der Konsumtion<br />
abhängigen Produzenten psychologische Probleme bereitet, der einseitige Vorrang der<br />
Wiederherstellung der Vorkriegslöhne brachte jedoch wie <strong>das</strong> Ende der Republik zeigt, keine<br />
brauchbare Lösung.<br />
Eine gesunde Wirtschaft, die in eine Krise gerät, kann mit Krediten und Subventionen auf die Beine<br />
gebracht werden, und zwar solange, und in dem Maße wie die Kredite und Subventionen fließen.<br />
Einer Wirtschaft, die die Konjunktur auf den tönernen Füßen des Kredits durchlaufen hat, ist in der<br />
Krise mit neuen Krediten nicht zu helfen, sondern nur mit Subventionen. Um 28 Milliarden Kredit auch<br />
nur zu einem geringen Bruchteil durch Subventionen zu ersetzen, fehlte dem Reich die Kraft. Beim<br />
Vergleich mit dem Reichshaushalt 1931/32 von 8,2 Milliarden Mark werden die Größenverhältnisse<br />
deutlich. Das zusätzliche Geld für die Subventionen hätte <strong>das</strong> Reich am ausländischen Kapitalmarkt<br />
zu steigenden Zinsen aufnehmen müssen. Oder <strong>das</strong> Reich hätte <strong>das</strong> Geld einfach drucken lassen<br />
müssen, wie es Hitler dann tat. Dafür gab es bis Mitte 1931 keine Mehrheit und keine Bündnispartner.<br />
Nachdem am 13. Juli 1931 die Danat, die zweitgrößte Bank zusammengebrochen war, und <strong>das</strong><br />
Vertrauen in <strong>das</strong> deutsche Bankwesen ohnehin am Boden zerstört worden war, änderte sich <strong>das</strong>.<br />
Wirtschaftstheoretiker, einzelne Industrielle, Banker und der ADGB forderten Spritzen für die<br />
Wirtschaft. In geringem Maße wurde den Wünschen unfreiwillig dadurch nachgekommen, daß der<br />
Haushaltsausgleich nicht herbeigeführt werden konnte. Freiwillig gab Brüning den Wünschen nach<br />
einer direkten Ausweitung der Subventionen jedoch nicht nach. Er hätte eine Kreditblase durch<br />
Anwerfen der Notenpressen initiieren können. Die Erfahrung mit der Inflation 1923 sprach dagegen<br />
und <strong>das</strong> Gelddrucken der Hitler-Administration nach 1933 führte tatsächlich zur nächsten<br />
Währungsreform 1948.<br />
Die Zeit arbeitete der NSDAP und der KPD in die Hände. Brünings Rechnung, daß die<br />
nationalsozialistische Bewegung mit dem Ende der Reparationen auch am Ende wäre, ging nicht auf.<br />
Die Reparationen wurden im Juli 1932 gestrichen, und die Nationalsozialisten waren stärker als<br />
vorher.<br />
Die Krise führte immer schneller zur Radikalisierung und zur Polarisierung. Die Weltwirtschaftskrise<br />
als Ursache für den Aufstieg Hitlers überzubewerten, ist genauso falsch, wie sie als Ursache zu<br />
unterschätzen. Die Krise war eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung des Erstarkens<br />
radikaler Kräfte. Sie ist ein Begleitumstand der Wahlerfolge der NSDAP, aber sie ist einer unter<br />
mehreren. Wenn nur die Not entscheidend für die Wahlentscheidungen der Deutschen gewesen wäre,<br />
so hätte auch in Ländern mit vergleichbar hoher Arbeitslosigkeit eine nationalsozialistische Diktatur<br />
entstehen müssen. Das war aber nirgends der Fall. 386<br />
386 Zahlen aus Stanley Payne: Geschichte des Faschismus, S. 228 und S. 279. Bei einer monokausalen<br />
Ursachensuche könnte man schließen: wo die Gewerkschaften keinen Einfluß mehr hatten, wie in der<br />
Sowjetunion, in Italien oder in Deutschland nach 1933 war die Arbeitslosigkeit am geringsten.<br />
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