Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik
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In der Tagebuchaufzeichnung von Leutnant Leopold von Sutterheim (*1894) vom 04. August 1914 ist<br />
nicht von Gott und recht wenig vom Kaiser die Rede, sondern von blonden und blauäugigen Kindern,<br />
der germanischen Weltmacht und dem Ideal der höchsten Kultur der Welt:<br />
„Wir stehen allein, Österreich, Deutschland. Feinde ringsum, Serbien, Frankreich, Rußland,<br />
England, Belgien, Feinde. Ob wir Sieger bleiben werden, wir wissen es nicht. Wir lügen uns nichts<br />
vor. Wir vertrauen nur unserer Stärke. Wir kämpfen, daß unsere Mütter und Schwestern uns einst<br />
froh entgegenjauchzen und in zehn Jahren auf Scharen von blonden blauäugigen Kindern<br />
schauen, die alle Lücken wieder ersetzt haben, und da wir jetzt unmöglich ganze Arbeit tun<br />
können, die germanische Weltmacht der höchsten Weltmacht begründen. Wir kämpfen für unsere<br />
Frauen und unsere Kinder, daß sie ein schönes freies Leben ohne Armut führen können, sich<br />
entwickeln, wie wir es durften. 1864, 1866, 1870 waren es nur praktisch erreichbare Ziele, diesmal<br />
handelt es sich um <strong>das</strong> Ideal der höchsten Kultur der Welt. Wir wollten keinen Krieg! Wenn ich nun<br />
bleibe, so ist es auch recht. Meine Jugend war schön. Ich bin dankbar für mein Leben. Kehre ich<br />
zurück, so will ich froh den zweiten Teil des Lebens <strong>das</strong> Dankweitergeben erfüllen.“ 333<br />
1864, 1866 und 1870 wäre eine gleichlautende Tagebucheintragung nicht denkbar gewesen. Die<br />
ideologische Kulisse hatte sich fundamental gewandelt.<br />
Der alte Konservatismus kniete idealtypisch loyal zu Füßen eines konkreten Throns, <strong>das</strong><br />
Gottesgnadentum legitimierte die monarchische Spitze; der Neokonservatismus dagegen war ein<br />
abstrakter, nicht durch die althergebrachte Ordnung definierter Reißbrettkonservatismus, an dessen<br />
ideologischen Schautafeln mehr und mehr Friedrich Nietzsches Leitbilder hingen. Ohne Gott machte<br />
<strong>das</strong> Gottesgnadentum keinen Sinn, der Übermensch <strong>braucht</strong>e keine persönliche Loyalität zum Kaiser<br />
mehr. Das ganze alte Wertegefüge kam ins Schwanken. Die konservativen Konstanten zwischen der<br />
alten und der neuen Zeit schnurrten auf Romantizismus, Korporatismus und Antisemitismus<br />
zusammen. Das protestantische Christentum mit dem jeweiligen Fürsten als obersten Kirchenherrn<br />
kam in eine missliche unhaltbare Lage und wurde in den Strudel der wankenden Monarchen mit<br />
hineingerissen. Reformistische Neigungen der protestantischen Laien und der Kirchenhierarchie<br />
wurden nicht durch eine im Ausland beheimatete übernationale Autorität abgefedert oder<br />
ausgebremst, sondern schwappten ungebremst in den protestantischen Kirchenbetrieb.<br />
Das jüngere Klientel musste sich entscheiden: entweder ohne Adrenalinstöße und ohne eigene<br />
Heldentaten die ruhmreiche Vergangenheit der Väter und Großväter zu bewundern, diesem Weg der<br />
Väter ohne eigene historische Großtat zu folgen oder vom konservativen in <strong>das</strong> reformistische Lager<br />
zu wechseln.<br />
Das beste Ergebnis erzielten die Konservativen Ende 1924 mit 20,5 %. Im Juli 1932 verzeichnete sie<br />
mit 5,9 % <strong>das</strong> schlechteste Ergebnis, <strong>das</strong> den harten Kern der Anhängerschaft abbildete. Die<br />
Differenz von rund 15 % bezeichnet die Anzahl der reformistisch-konservativen Grenzgänger. Es<br />
waren vor allem die zwischen Konservatismus und Reformismus umherirrenden jüngeren Jahrgänge.<br />
Die bereits früher erwähnten Franz Ritter von Epp, Ernst von Salomon, Albert Schlageter, Hermann<br />
Ehrhardt, Friedrich Wilhelm Heinz, Manfred von Killinger und Gerhard Rossbach waren typische<br />
Repräsentanten der jüngeren Generation.<br />
Fotos zeigen Gerhard Rossbach 1918 als Freichorps-Anführer mit dem Reformsymbol Hakenkreuz.<br />
Es gab zu diesem Zeitpunkt weder die deutsche Arbeiterpartei, noch die NSDAP. Hitler diente noch<br />
der Münchner Räterepublik. Eine monarchistisch-traditionalistische Sozialisation ist bei Rossbach<br />
nicht wahrscheinlich.<br />
Die Dolchstoßlegende verklickerte den Deutschen, <strong>das</strong>s Spartacus der heldenhaften deutschen<br />
Armee heimtückisch mit dem vaterlandslosen Dolch der Revolution in den Rücken gestochen hätte,<br />
wie Hagen von Tronje die einzige verwundbare Stelle Siegfrieds nutzend. Neben dieser<br />
linkselitaristischen Bedrohung durch Spartacus musste die kaisertreue und bibelfeste deutsche<br />
Armeeführung, welche ihre Waffen vorsichtshalber von frommen Männern segnen ließ, die gesamte<br />
Kriegszeit mit Unteroffizieren kämpfen, welche nach getaner Arbeit abends den Zarathustra<br />
aufschlugen und lasen:<br />
333 Aus www.dhm.lemo, Stichwort Augustererlebnis<br />
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