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Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

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übernehmen, wenn die Überzeugung von der Notwendigkeit des Kapitalismus im Schwinden begriffen<br />

sei. Die Kritik der Mittelschichtenjugend, des akademischen Proletariats, der Lehrer, Redakteure und<br />

Staatsbediensteten, würde die erforderliche Zersetzungsarbeit leisten, Hilfsenergie für die<br />

proletarische Machtübernahme liefern. Mit der Gründung der Republik kam alles anders. Nicht die<br />

Sozialdemokratie rüttelte nach dem Weltkrieg an den Grundfesten der Staatsgewalt, sondern die<br />

Mittelschichtenjugend. Die Sozialdemokratie mußte von Anfang an unter den Schutz kaiserlicher<br />

Militärs wie Wilhelm Gröner, v. Seeckt und v. Hindenburg flüchten, um sich vor dem revolutionären<br />

Mob des Bildungsbürgertum zu schützen. Jenes fragile und staatserhaltende konservativsozialdemokratische<br />

Haß-Bündnis, <strong>das</strong> Heinrich Mann im "Untertan" zwischen Diederich Heßling und<br />

Napoleon Fischer als literarischer Nostradamus skizziert hatte, und <strong>das</strong> gegen den Reformisten Dr.<br />

Heuteufel gerichtet war, benötigte die Republik von der Wiege bis zur Bahre.<br />

Bereits vor der Wahl zur Nationalversammlung mußten mit Hilfe Gröners linkselitaristische Aufstände<br />

niedergeschlagen werden, Hans von Seeckt hütete die Flammen im Tempel der parlamentarischen<br />

Macht in der Krise von 1923 und Hindenburg wurde 1932 von den Sozialdemokraten dazu<br />

ausersehen, dem radikalen Reformisten Hitler Paroli zu bieten. Bis Ende 1932 ging diese Rechnung<br />

auch auf, hielt <strong>das</strong> ungleiche Bündnis. Hindenburg bemerkte einmal, Reichskanzler Müller sei sein<br />

bester Kanzler gewesen, blos leider ein Sozialdemokrat.<br />

Die Sozialdemokraten sahen sich in der Rolle der Verteidiger der Republik, <strong>das</strong> akademische<br />

Proletariat in der Rolle des revolutionären Angreifers. Die Bebel´schen Hilfstruppen der<br />

sozialdemokratischen Machtübernahme, die reformistischen Mittelschichten hatten sich<br />

verselbständigt, hatten ihr vitales und vitalistisches Eigenleben entwickelt und trommelten vor den<br />

Toren der Macht. Sie trommelten in SA-Uniformen und in Uniformen des Rotfrontkämpferbundes.<br />

Beiden Formationen war klar: Erst mußten die verhaßten Sozialdemokraten weg, nur über deren<br />

politische Leichen käme man an die Macht.<br />

Die Sozialdemokratie ist in der glücklichen Lage<br />

Unglücklicherweise gab es auch in der SPD-Führung Reformisten, die den Ernst der Lage nicht<br />

begriffen. Dazu gehörte Rudolf Breitscheid, der wie wir gesehen hatten, aus der heterodoxen USPD<br />

kam. Es war bereits erwähnt worden, daß der Reichstag mit den Stimmen von SPD, DNVP, KPD und<br />

NSDAP die Vorlage zur Deckung des Defizits des Reichshaushalts abgelehnt hatte, was die<br />

Auflösung des Reichstags mitten in der Weltwirtschaftskrise verursacht hatte. Das Ausscheren der<br />

SPD aus der Front der bedingungslosen Ja-Sager wurde von den Genossen nicht als <strong>das</strong> verstanden,<br />

was es war, nämlich die große Chance der Nationalsozialisten, sondern es wurde zumindest vor der<br />

Wahl als eine Chance für die Sozialdemokraten mißdeutet: Breitscheid versuchte aus der Situation<br />

Kapital zu schlagen:<br />

"Die Sozialdemokratie ist in der glücklichen Lage, daß ihr für den Wahlkampf wertvolle Parolen von<br />

Politikern aus dem Lager der bürgerlichen Parteien geliefert worden sind. Da ist zunächst der Ruf,<br />

den der demokratische Finanzminister Dietrich in einer der letzten Stunden des alten Reichstags<br />

ausstieß: Er lautete "Es muß sich entscheiden, ob wir ein Staatsvolk oder ein Interessentenhaufen<br />

sind." Nie aber hat -- so stellen wir fest -- die Interessentenpolitik größere Triumphe gefeiert als<br />

unter der Regierung Brüning.... Gegen diese Regierung hat die Sozialdemokratie gekämpft und<br />

wird sie weiter streiten. Denn unsere Partei ist es, die <strong>das</strong> Allgemeinwohl und damit <strong>das</strong> Wohl des<br />

arbeitenden Volkes über die Interessen einzelner blicken läßt. Aber die Regierung Brüning mußte<br />

den Weg einer solchen Interessentenpolitik beschreiten, weil sie ohne die Sozialdemokratie<br />

regieren wollte. Dazu <strong>braucht</strong>e sie im Reichstag eine Mehrheit, die sich weit nach rechts hin<br />

ausdehnte. Sie mußte nun die Wünsche der Gruppen befriedigen, die hinter den bürgerlichen<br />

Parteien bis hin zu den Volkskonservativen stehen, und mußte darüber hinaus bemüht sein, durch<br />

Zugeständnisse und Versprechungen auch den größten Teil der Deutschnationalen zu gewinnen.<br />

Das zwang die Bürgerblockregierung dazu, nicht nur ohne die Sozialdemokratie, sondern auch<br />

gegen die Sozialdemokratie und damit gegen <strong>das</strong> arbeitende Volk zu regieren. Sie würde zu einer<br />

solchen Politik nicht den Mut gefunden haben, wenn die Arbeiterschaft einig wäre und nicht von<br />

kommunistischer und nationalsozialistischer Seite die Front derer, die von ihrer Arbeit leben,<br />

zersetzen würde..." 374<br />

374 aus www.dhm.de/sammlungen/zendok/weimar/breit.html<br />

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