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Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

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wurden von den landwirtschaftlichen Verbänden wie Geiseln gehalten und die geringste Abweichung<br />

vom Verbandswillen wurde mit Vertrauensentzug und Wählerbeeinflussung gestraft.<br />

Der Bestand von an die Interessen der mächtigen Verbände geketteten Parteien war im Kaiserreich<br />

bereits zur Gewohnheit geworden. Während der Verhandlungen zur Weimarer Verfassung gingen die<br />

Väter der Weimarer Republik, die ja selbst mehrheitlich Parteisoldaten irgendwelcher<br />

Interessengruppen waren, bereits von diesem gefestigten und durch Tradition geheiligten Parteityp<br />

aus. Lenin nannte diesen Parteityp, bei dem die Parteisoldaten reine Befehlsempfänger waren, eine<br />

Partei neuen Typus und billigte ihren Parteiorganisationen selbst kein Eigenleben zu.<br />

Tatsächlich waren die Konservativen des Kaiserreichs Vertreter der ostelbischen Junkerinteressen<br />

und mußten sich in der Weimarer Zeit mühsam für Belange öffnen, die ihren Ort westlich der Elbe<br />

hatten. Die Sozialdemokraten starteten als Interessenverteter des organisierten Teils der<br />

Arbeiterklasse und sie blieben <strong>das</strong> im wesentlichen auch. Der Draht zu den nicht organisierten<br />

Arbeitern der Kleinbetriebe, zu den Kleinbauern und zu den Kleingewerbetreibenden wurde kaum<br />

gesucht und nur selten gefunden. Das marxistische Dogma vom Untergang der Mittelschichten ließ es<br />

für die SPD-Funktionäre einerseits nicht lohnenswert scheinen in diese Klientel zu investieren, da man<br />

die proletaroiden Existenzen ja nach einer gewissen Zeit ohnehin im Proletariat begrüßen würde,<br />

andererseits stemmten sich Landwirte und Kleinhandwerker ihrem vermeintlichen oder tatsächlichen<br />

Schicksal entgegen, sie wollten von ihrem Untergange nichts hören. Die Kommunisten bemühten sich<br />

zumindest zeitweise und teilweise erfolgreich um die Bauern, ansonsten blieben sie im Ghetto der<br />

Bohéme und des Lumpenproletariats gefangen. Ähnlich ging es den reformistischen Mittelparteien,<br />

der Wirtschaftspartei und den Hausbesitzerbünden. Keine dieser Parteien war eine moderne<br />

Volkspartei, keine vertrat auch nur Interessen eines größeren soziologischen oder berufsständischen<br />

Spektrums mit Ausnahme des katholischen Zentrums und der Bayerischen Volkspartei. Das waren die<br />

einzigen wirklichen Volksparteien, ihr Einfluß endete jedoch an den Grenzen der katholischen<br />

Siedlungsgebiete. In den Klientelparteien war eine wichtige demokratische Übung nur gelegentlich<br />

erforderlich: der innerparteiliche Interessenausgleich. Der Interessenausgleich mußte deshalb<br />

zwischen den Parteien als Verkörperung der Standesinteressen stattfinden.<br />

Die Parteien waren also berufsständische Interessenvertretungen und spiegelten die mittelalterliche<br />

ständische Ordnung wieder, wie sie sich im zersplitterten Deutschland behauptet hatte. Später sollte<br />

es der NSDAP gelingen, die hinter den Parteien stehenden Berufs- und Verbandsstrukturen<br />

erfolgreich zu unterwandern und den tradierten politischen Parteien so den Nährboden zu entziehen.<br />

Die Parteien waren in den Augen der Nationalsozialisten Sumpfpflanzen in der Hydrokultur der<br />

Verbände, und wenn es gelang, <strong>das</strong> Wasser der Verbände in die eigenen Mühlgräben umzuleiten, so<br />

konnte der Sumpf der Parteien nicht nur trockengelegt, sondern die Parteien konnten zwischen den<br />

berufsständisch angetriebenen nationalsozialistischen Mühlsteinen endgültig zerquetscht und<br />

zermalmt werden.<br />

Es gab seit der Kaiserzeit ein Mißtrauen gegen die politischen Parteien, ihnen wurde richtigerweise<br />

von vornherein unterstellt, nur eigensüchtige und nicht auf <strong>das</strong> große Ganze bezogene Gruppen- und<br />

Verbandsinteressen zu vertreten. Es wurde angenommen, daß die Parteien den Volkswillen von<br />

vornherein verfälschen, daß die Interessen des Staates nicht aus dem Streit der Parteien heraus<br />

verstanden werden könnten und daß die Parteien demzufolge ein notwendiges parlamentarisches<br />

Übel seien. Daß der Staat die Verbände, Gruppen, Kammern und Kartelle selbst ins Leben gerufen<br />

hatte oder tatkräftig gefördert hatte, wurde verdrängt oder nicht zur Kenntnis genommen. Nach<br />

preußischem Verständnis war der Staat der Mittelpunkt und dieser Mittelpunkt hatte die<br />

gesellschaftlichen Interessen zu bündeln und zu ordnen. Alles Gute kam vom Staat, alles Zweifelhafte<br />

kam im Zweifel aus der Gesellschaft und gewiß aus den Parteien. Kaiser Wilhelm hatte bei Ausbruch<br />

des Krieges seine Lieblingsvorstellung geäußert: "Ich kenne keine Parteien mehr" und Richard<br />

Wagner schrieb seine eigene politische Vergangenheit als Revolutionär verdrängend ergänzend an<br />

Franz Liszt "Ein politischer Mensch ist widerlich."<br />

Besonders konsequent war man hinsichtlich der Ignorierung der Parteien in Mecklenburg-Strelitz. Dort<br />

gab es bis 1918 kein Landesparlament, sondern eine Ständische Vertretung, eine beratende<br />

Versammlung aus Vertretern der Berufsgruppen. In Mecklenburg geht die Welt 50 Jahre später unter,<br />

hieß es im Volksmund; was diese ständische Verfassung betrifft, so war man der Zeit voraus, was<br />

1933 in ganz Deutschland der Brauch wurde, <strong>das</strong> gab es in Strelitz schon 50 Jahre vorher.<br />

Heute weiß man, daß der preußische, später der preußisch-deutsche Staat der widerliche Götze war,<br />

der wie <strong>das</strong> Goldene Kalb im Mittelpunkt der Verehrung stand; um dieses Goldene Kalb mußten die<br />

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