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Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

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Die deutsche Arbeiterklasse ließ die Bewutseinsrevolutionäre, die die Arbeiter erst gegen England in<br />

den Schützengraben gehetzt hatten, und nun schon wieder neue blutige Opfer im Dienste der<br />

Schönheit forderten, im Stich. Die Ökonomisten in der SPD hatten statt des Baus von innerstädtischen<br />

Pyramiden zunächst materielle Verbesserungen für die Arbeiter anvisiert. Die ökonomischen<br />

Veränderungen, die neue Macht der Gewerkschaften als exklusiver Tarifpartner, der 8-Stunden-Tag<br />

bei vollem Lohnausgleich, die Bildung von Arbeiterausschüssen in den Betrieben und <strong>das</strong> Recht der<br />

überlebenden Kriegsteilnehmer auf ihren verwaisten Arbeitsplatz waren ohne nennenswerten<br />

Widerstand und ohne Aufhebens erreichte Ziele, die Bewußtseinsrevolution blieb den Revolutionären<br />

übrig; sie war bei den jugendlichen Mitläufern der Räte oft angesagter, als der Kampf um<br />

Lohnerhöhungen, den sozialdemokratischen Zukunftsstaat oder ein demokratisches Palaver von<br />

bärtigen Demokraten der älteren Jahrgänge. Wegen diesen grundlegenden Divergenzen zwischen<br />

gewerkschaftlichen Ökonomisten und intellektuellen Träumern liefen die Räte auseinander; desto<br />

mehr überflüssiges nietzscheanisches Kulturbewusstsein der Gehirnsschwamm aufgesogen, desto<br />

eiliger verschwanden die Intellektuellen in ihren bündischen Nischen.<br />

Selbst kaiserliche Regierungskader strömten in die Räte. Quasi die ganze Führung der kaiserlichen<br />

Kriegsrohstoffabteilung war auf dem Marsch in die neue Administration. Am 10. November 1918 als es<br />

aus der Moskauer Perspektive so aussah, als habe in Deutschland die Räterevolution gesiegt, bat<br />

auch der Mitarbeiter des Auswärtigen Amts Alfons Paquet dem im Aufbruch nach Berlin begriffenen<br />

Karl Radek, in Berlin mitzuteilen, <strong>das</strong>s sich Paquet dem deutschen Arbeiter- und Soldatenrat zur<br />

Verfügung stelle. 211<br />

Es gab wirklich überhaupt keinen Mangel an jugendbewegten Reformisten im revolutionären Kader.<br />

Im demokratischen Nest der Nationalversammlung, <strong>das</strong> von den politisierenden Vätern und<br />

Großvätern gebaut wurde, lag von Beginn an ein kulturrevolutionäres antidemokratisches Kuckucksei.<br />

Kontinuität der kulturellen und wirtschaftlichen Eliten<br />

Der Begriff des Wendehalses wurde erst 1989 geprägt. Diese edlen Vögel gab es jedoch immer<br />

schon, wo eine Wende eingeleitet wurde. Viele Väter der Weimarer Republik hatten in verschiedenen<br />

Positionen dem Kaiser treu gedient, einige hatten insbesondere die deutsche Kriegsmaschine nach<br />

Kräften geölt.<br />

Walther Rathenau (DDP) wurde bereits im August 1914 Leiter der Kriegsrohstoffabteilung (KRA), die<br />

bald zu einer obersten Reichsbehörde ausgebaut wurde. Rathenau legte großen Wert auf die<br />

Beschaffung von Rohstoffen in den besetzten Gebieten und formte eine staatlich gelenkte<br />

Mangelbewirtschaftung als Mischung aus staatlichen Eingriffen und industrieller Selbstverwaltung, in<br />

deren Gefolge rund 200 Kriegsrohstoffgesellschaften gegründet wurden. Diese Gesellschaften waren<br />

letztlich Zwangssyndikate, in denen alle Produzenten der kriegsnotwendigen Erzeugnisse vereint<br />

wurden. Von diesen Zwangsvereinigungen hat sich die deutsche Wirtschaft bis 1945 nicht mehr<br />

verabschiedet. Der Amtsnachfolger von Rathenau in der KRA, Koeth, organisierte die Demobilisierung<br />

im Auftrage der deutschen Räte. Die Beamten der kaiserlichen Kriegsmaschinerie und die<br />

Revolutionsführer verstanden sich offensichtlich prächtig.<br />

Ab Oktober 1914 war Matthias Erzberger (Zentrum) als Leiter der "Zentralstelle für den<br />

Auslandsdienst" für die planvolle Steuerung der öffentlichen Meinung im Ausland zuständig. Bereits<br />

1912/13 hatte er als Zentrumsabgeordneter Im Reichstag eine starke deutsche Aufrüstung unterstützt.<br />

Zu Beginn des Weltkriegs forderte er die Einverleibung Belgiens.<br />

Gustav Stresemann (DVP) hatte sich besonders im "Deutschen Kolonialverein" hervorgetan und sich<br />

ebenfalls für die Angliederung von Gebieten stark gemacht.<br />

Wilhelm von Payer (DDP) war Vizereichskanzler gewesen. Als solcher hatte er noch im Oktober 1918<br />

verkündet, Deutschland werde nach dem erhofften „Wilson-Frieden“ die natürliche Schutzmacht der<br />

von Russland abgefallenen und vom Bolschewismus bedrohten Randstaaten sein. „Gegen Osten ist<br />

die Welt wieder offen für uns.“ Dort sei für uns Frieden und bleibt für uns Frieden, mag es unseren<br />

westlichen Feinden gefallen oder nicht. 212<br />

211 Gerd Koenen: der Russland-Komplex, C.H.Beck, 2005, S. 179<br />

212 Zitiert in: Gerd Koenen: Der Russland-Komplex, C.H.Beck, S. 277<br />

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