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Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

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Fassung der "Charta von Athen", die Le Corbusier herausgab, hat dem Sinn nach Ähnlichkeit mit<br />

den während des Kongresses erarbeiteten Thesen, es ist jedoch nicht die einzige Version.“ 369<br />

Die von Le Cobusier veröffentlichten Fassung erhob folgende Forderungen zum Wohnen:<br />

§ 23 bis 29:<br />

- Die Wohnviertel müssen künftig im Stadtgebiet die besten Baustellen einnehmen, ihre Vorteile<br />

aus Topographie und Lage ziehen, über die günstigste Sonnenlage und bequem gelegene<br />

Grünflächen verfügen.<br />

- Die Wahl der Wohnbezirke muß nach hygienischen Gesichtspunkten erfolgen.<br />

- Eine vernünftige Bevölkerungsdichte, entsprechend der durch die Natur des Geländes<br />

bestimmte Siedlungsform.<br />

- Für jede Wohnung ist ein Sonnenstundenminimum zu bestimmen.<br />

- Die Baulinie der Häuser entlang der Verkehrsstraßen muß verboten werden.<br />

- Erstellung von hohen Bauten durch Nutzung der modernen Technik.<br />

- Die hohen Bauten müssen in ausreichend weiten Abständen voneinander stehen und<br />

begünstigen damit weite Grünflächen.<br />

Auch zum Umgang mit historischer Bausubstanz hatte Le Corbusier feste Vorstellungen, die dem<br />

Ensembledenkmalschutz widersprachen. Es war die <strong>Neue</strong> Stadt für den <strong>Neue</strong>n <strong>Menschen</strong><br />

beabsichtigt, die mit der jahrhundealten Bautradition radikal brach.<br />

§65 - 70:<br />

• Architektonische Werke müssen erhalten bleiben (einzelne Gebäude oder ein Stadtganzes),<br />

wenn sie der Ausdruck einer früheren Kultur sind und wenn sie einem allgemeinen Interesse<br />

entsprechen.<br />

• Die Erhaltung alter Bausubstanz darf jedoch nicht untragbare Wohnbedingungen für die<br />

Bevölkerung bedeuten.<br />

• Die Beseitigung der Elendsquartiere rings um die historischen Denkmäler wird es<br />

ermöglichen, Grünflächen zu schaffen.<br />

• Es hat verheerende Folgen, neue Bauten in alten Vierteln unter dem Vorwand der Ästhetik in<br />

Stilarten der Vergangenheit aufzuführen.<br />

Die Charta von Athen wurde zwar erst kurz nach dem Machtantritt Adolf Hitlers besprochen, die<br />

Entwicklung ihrer Grundsätze, nämlich eine normierte Sonnenscheindauer in jeder Wohnung zu<br />

gewährleisten, reicht tief in die zwanziger Jahre zurück. Selbstverständlich wurde die<br />

Sonnenscheindauer den Bewohnern von elitaristischen und hygienewütigen Architekten<br />

aufgezwungen.<br />

Nachdem in vielen Städten durch Sanierung von Altbausubstanz und Bevölkerungsrückgang die<br />

extreme Wohnungsnot zurückgeht, verlassen die Bewohner der allseits sonnenbeschienenen Platten<br />

die nach den Grundsätzen der Charta von Athen geschaffenen Plattenbaugroßsiedlungen fluchtartig.<br />

Hoyerswerda, Schwedt, Stalinstadt und Halle-Neustadt veröden, die Vorstädte von Paris verasseln.<br />

Die autogerechten Trabantenstädte, die so abwechslungsreich waren, <strong>das</strong>s man selbst bis zum<br />

nächsten Postkasten lieber mit dem Auto fuhr, sind Monumente der Vergangenheit.<br />

Nicht nur Hitler, auch die Hygieniker arbeiteten an der Abtötung alles Krankmachenden und an der<br />

Volksaufklärung. 1930 wurde nicht nur die zweite internationale Hygieneausstellung eröffnet (die erste<br />

hatte 1911 stattgefunden), auch <strong>das</strong> Hygienemuseum öffnete seine Pforten. Vor dem Weltkrieg und<br />

vor der Machtergreifung wurde auf dem Altar der Reinlichkeit geopfert. Gleichzeitig träumte der<br />

Städtebau von sonnenbeschienenen Wohnungen für die Arbeiterklasse.<br />

Die Sonne war als ein Gestirn mit zentralistischem Anspruch auch <strong>das</strong> Symbol des<br />

Nationalsozialismus. Hitler stellte sie durch ein Kreuz mit verbogenen Enden dar und setzte damit auf<br />

den für ihn konsenzfähigen Teil der Reformbewegung auf. Im Programm der NSDAP wurde unter<br />

Punkt 22 der Lebensreform Tribut gezollt, als die Turn- und Sportpflicht angeordnet wurde. Ehemalige<br />

Artamanen entwickelten sich von Tier- zu <strong>Menschen</strong>züchtern. Ohne Zwang gings nicht, die<br />

Reformbewegung war als Erziehungsdiktatur gedacht, und nach dem hohen Sinnen nahten die<br />

Konsequenzen.<br />

369 www.isl.uni-karlsruhe.de/module/charta_von_athen/charta_von_athen.html<br />

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