15.11.2012 Aufrufe

Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Zaren ist verderblich" hieß es zu Hause in Rußland. Und so vehement wie der Zar auf seinen<br />

Positionen beharrte, so selbstverliebt, mit dem gleichen Ausschließlichkeitsanspruch vertrat Lenin in<br />

allen seinen Schriften seine Meinung. Tausende Gänsefüßchen setzte er in Marsch, um die<br />

vermeintlichen Lächerlichkeiten und gedanklichen Ungereimtheiten seiner intellektuellen Gegner zu<br />

eskortieren, tausende Male wurden Verräter, Renegaten, Sykophanten und Fälscher rechthaberisch<br />

an den politischen Pranger gestellt.<br />

An dieser Stelle ist es erforderlich Marx und Lenin hinsichtlich der Führungskonzepte für die<br />

revolutionäre Arbeiterbewegung zu vergleichen, um den Unterschied der marxistischen SPD zu der<br />

elitaristischen KPD herauszuarbeiten. Es bietet sich an, Marxens Äußerungen über die Pariser<br />

Kommune mit Lenins Parteidoktrin zu vergleichen, denn die Pariser Kommune war die einzige<br />

Arbeiterregierung, die Karl Marx kommentieren, analysieren und nachbereiten konnte. Wenn man<br />

etwas über <strong>das</strong> Verhältnis von Marx zur Demokratie und zur "Diktatur des Proletariats" wissen will, so<br />

muß man sein Verhältnis zur einzigen zeitgenössischen Arbeiterregierung zu Rate ziehen. Wenn man<br />

etwas über Lenins Interpretation der "Diktatur des Proletariats" wissen will, so sollte man in die im<br />

November 1918 veröffentlichte Schrift "Die proletarische Revolution und der Renegat Kautsky"<br />

hineinsehen, hier erfolgte die Replik auf Marx. Karl Marx hat mehr als drei Dokumente zur Pariser<br />

Kommune hinterlassen: die Adresse des Generalraths der Internationalen Arbeiter=Association "Der<br />

Bürgerkrieg in Frankreich" und zwei Entwürfe für diese Adresse. Bekannt geworden ist die Adresse<br />

selber, und nicht so sehr deren Entwürfe aus dem handschriftlichen Nachlaß. Friedrich Engels<br />

veröffentlichte 1891 bereits die 3. Auflage des "Bürgerkrieg in Frankreich". Auf Anregung von Karl<br />

Marx verfaßte Prosper Lissagaray "Die Geschichte der Kommune von 1871", die 1878 erschien.<br />

"Die Kommune bildete sich aus den durch allgemeines Stimmrecht in den verschiedenen Bezirken<br />

von Paris gewählten Stadträten. Sie waren verantwortlich und jederzeit absetzbar. Ihre Mehrzahl<br />

bestand selbstredend aus Arbeitern oder anerkannten Vertretern der Arbeiterklasse. Die Kommune<br />

sollte nicht nur eine parlamentarische, sondern eine arbeitende Körperschaft sein, vollziehend und<br />

gesetzgebend zu gleicher Zeit. (...) Das bloße Bestehn der Kommune führte, als etwas<br />

selbstverständliches, die lokale Selbstregierung mit sich, aber nun nicht mehr als Gegengewicht<br />

gegen die, jetzt überflüssig gemachte, Staatsmacht.(...) Sie war wesentlich eine Regierung der<br />

Arbeiterklasse, <strong>das</strong> Resultat des Kampfs der hervorbringenden gegen die aneignende Klasse, die<br />

endlich entdeckte politische Form, unter der die ökonomische Befreiung der Arbeit sich vollziehen<br />

konnte. (...) Das Paris der Arbeiter, mit seiner Kommune, wird ewig gefeiert werden als der<br />

ruhmvolle Vorbote einer neuen Gesellschaft."<br />

Marx pries die Kommune als demokratisches Experiment, er betonte ihren egalitären Charakter. Marx<br />

als Kind der Sattelzeit war wie seine Zeitgenossen durch die Ideen von Freiheit, Gleichheit und<br />

Brüderlichkeit geprägt und hatte nicht nur demokratische Vorstellungen, sondern sogar<br />

basisdemokratische Illusionen. Schneller Wechsel der politischen Akteure durch <strong>das</strong> Instrument der<br />

Abwahl und Ersetzung von Stadträten bedeutete einerseits <strong>das</strong> Eingehen der Revolution auf die<br />

aktuellen Stimmungen, andererseits jedoch auch den Verzicht auf Kontinuität und eine langfristig<br />

angelegte politische Strategie. Prosper Lissagaray legte den Finger auf die Wunden der direkten<br />

Demokratie, zeigte die Nachteile des gebundenen Mandats: Früh kam es zu Reibereien zwischen<br />

dem gewählten Rat und dem Zentralkomitee. Man kam wie zu einer öffentlichen Versammlung planlos<br />

in den Rat. Die Dekrete vom Vortag waren vergessen. Es kam zu kleinlichen Intrigen.<br />

"Um zum Dienst der Kommune zugelassen zu werden, mußte man zu dieser oder jener Clique<br />

gehören. Viele aufrichtig ergeben Männer, erprobte Demokraten, verständige Beamte, die sich<br />

vom Staate losgesagt hatten, selbst republikanische Offiziere, boten ihre Dienste an; sie wurden<br />

von unfähigen Leuten, die am Tage zuvor emporgekommen waren und deren Ergebenheit den 20.<br />

Mai nicht überleben sollte, von oben herab empfangen. Und dabei wurde die Unzulänglichkeit des<br />

Personals und der Geister von Tag zu Tag erdrückender. Selbst die Mitglieder des Rats klagten<br />

darüber, daß nichts klappen würde." 101<br />

"Die Unordnung wuchs mit der Gefahr".<br />

"Das Stadthaus flößte niemandem Furcht ein; aus seinem Geschrei hörte man die Machtlosigkeit<br />

heraus" schrieb Lissagaray. Es war keine Diktatur des Proletariats im Leninschen Sinne und Marx<br />

legte im Rückblick allein Wert auf die demokratische Legitimation der Kommune, nicht aber auf ihre<br />

Effizienz.<br />

101 Prosper Lissagaray: Geschichte der Kommune von 1871, Rütten & Loening, Berlin 1956, S. 166 ff<br />

78

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!