15.11.2012 Aufrufe

Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Staats- und Privateigentum mit staatlicher Planung, die Konservativen einen korporatistischen<br />

Feudalismus mit Privateigentum, <strong>das</strong> Zentrum wollte einen korporatistischen Staat nach der<br />

Soziallehre und die Mittelstands- und Reformparteien ein korporatistisches planwirtschaftliches<br />

Schlaraffenland mit billigen Preisen und ohne Streiks für Mittelständler, Kleinbürger, Landwirte und<br />

Freiberufler, am liebsten ohne scharfen Wettbewerb. Das letztere Mittelstandsparadies entsprach der<br />

späteren Wirtschaftspolitik der Nationalsozialisten und war insofern kein Märchenland. Für Bauern und<br />

Handwerker war die Zeit von 1934 bis 1939 ein kleines Schlaraffia. Wir müssen uns immer wieder<br />

einschärfen: Privateigentum gestattet alles mögliche: antike Sklaverei, Markgenossenschaft,<br />

mittelalterliches Lehnssystem, Zunftwesen, Kapitalismus und auch neuzeitlichen Korporatismus. Die<br />

Beibehaltung oder Abschaffung des Privateigentums entscheidet lediglich über die Frage, ob man<br />

noch vor die Antike zu den orientalischen Despotien oder zur Urgesellschaft zurückkehren will oder<br />

nicht. Wenn man sich für <strong>das</strong> Privateigentum entschieden hat, eröffnet sich ein enormer politischer<br />

Supermarkt der Möglichkeiten. Die Parteien, die sich für <strong>das</strong> Privateigentum entschieden hatten,<br />

hatten sich noch lange nicht für den Kapitalismus entschieden, in Deutschland wünschte man sich im<br />

allgemeinen <strong>das</strong> schöne Mittelalter mit dem Zunftwesen zurück. Der nationalsozialistische<br />

Antikapitalismus hatte keine Spitze gegen <strong>das</strong> Privateigentum, sondern gegen den Kapitalismus des<br />

freien Wettbewerbs, und dieser Kapitalismus wurde entsprechend den Lehren von Werner Sombart<br />

fälschlicherweise auf <strong>das</strong> zersetzende Wirken der Juden zurückgeführt. Die Stellung zum<br />

Privateigentum war nicht <strong>das</strong> Unterscheidungsmerkmal der Nationalsozialisten zu den anderen<br />

politischen Kräften, genausowenig wie die Stellungnahme zum Kapitalismus.<br />

In Verfassungsfragen unterschied man sich dadurch, daß die Parteien, die in den Zwanzigern nur<br />

verächtlich waren, von Hitler als die Quelle allen Übels dargestellt wurden. Das Ersatzkaisertum des<br />

Weimarer Präsidialsystems, <strong>das</strong> 1919 von SPD, Zentrum und DDP gewollt worden war und <strong>das</strong> ein<br />

Regieren am Parlament vorbei ermöglichte, wurde durch <strong>das</strong> Ermächtigungsgesetz nur zum<br />

Normalfall erhoben. Es war auch nicht <strong>das</strong> erste Ermächtigungsgesetz in der Zeit der Weimarer<br />

Republik.<br />

Auch in Fragen der Erbgesundheit gab es Berührungen mit anderen politischen Kräften, die<br />

daherrührten, daß alle Parteien durch die Lebensreformbewegung mehr oder weniger negativ<br />

beeinflußt waren. Hier stand allein <strong>das</strong> Zentrum auf einem abweichenden Standpunkt.<br />

Eine ähnliche Sonderstellung nahm die Schulpolitik ein. Auch hier waren bei der Verweltlichung alle<br />

Kräfte einig, außer dem Zentrum, <strong>das</strong> auf jeden Versuch der Veränderung im Sinne der Trennung von<br />

Kirche und Staat reflexhaft reagierte und Veränderungen ausbremste. Selbst im tiefsten<br />

Nationalsozialismus kam es zum siegreichen Kreuzzug gegen den braunen Satan, als die heidnischen<br />

Nationalsozialisten vergeblich die Kreuze aus den bayrischen Klassenzimmern verbannen wollten.<br />

Man kann alle Politikfelder durchgehen und kommt zum Ergebnis: Wenn man vom abweichenden<br />

<strong>Menschen</strong>bild des Zentrums einmal absieht, so betraf ein weiterer gravierender Unterschied zwischen<br />

den Verfassungsparteien der Weimarer Republik und der NSDAP <strong>das</strong> Verhältnis zu den Juden. Aus<br />

dem Antisemitismus speisen sich alle anderen Unterschiede, zum Beispiel in der Kulturpolitik. Die<br />

entartete Kunst wurde als jüdische Kunst dargestellt, die Zinsknechtschaft beruhte auf den Schulden<br />

gegenüber Juden usw.<br />

Diese Unterschiede im <strong>Menschen</strong>bild wurde in der allgemein recht übereinstimmenden<br />

Weltanschauung nicht genügend wahrgenommen. Es war ein sehr wesentlicher Unterschied, Achim<br />

Preiss schreibt, daß alle anderen diktatorischen Systeme mit der Zeit an Radikalität verloren, nur der<br />

Nationalsozialismus radikalisierte sich in der Frage der <strong>Menschen</strong>züchtung und Judenvernichtung<br />

immer mehr.<br />

Es ist die Frage, wieweit ein "Normaler" einen Fanatiker verstehen kann. Diesem Verständnis sind<br />

enge Grenzen gesetzt. Immer wieder werden deshalb Fanatiker unterschätzt. Milosevic, Bin Laden,<br />

Putin, Karasic, die sudanesischen Machthaber oder die Hutu-Milizen können auch heute großen<br />

Schaden anrichten, bevor sich die Welt, und hier insbesondere Europa zur Tat aufrafft. Mit<br />

ehemaligen Massenmördern, Folterern und <strong>Menschen</strong>händlern werden auch heute Koalitions- und<br />

Friedensgespräche geführt, überall auf der Welt, auch in Deutschland. Insofern sollten wir uns über<br />

die damalige Gesprächsbereitschaft mit einem Radikalen nicht verwundern, sondern uns die<br />

damaligen Denkweisen an denen der heutigen Zeit vergegenwärtigen.<br />

Insbesondere Journalisten haben immer den Hang allen Schmutz zu durchwaten und zu durchörtern,<br />

über ihn zu berichten oder Mörder zum Interview einzuladen. Wie oft wurde von deutschen Künstler-,<br />

297

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!