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Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

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Besonders stark war letztere Tendenz in Oberschlesien, Thüringen, Waldeck, Ostpreußen und in der<br />

Provinz Sachsen. Die KPD hatte mit der industriellen Arbeiterklasse sehr wenig zu tun. Ihre<br />

Schwerpunkte lagen in einigen ländlichen Räumen an der Peripherie Deutschlands: Ostpreußen 7,2<br />

%, Oberschlesien 7,2 %, Schleswig-Holstein 6,1 %. Alle diese drei Gebiete wählten nicht 1920,<br />

sondern 1921 und 1922, weil in diesen Wahlkreisen vorher noch Volksabstimmungen über die<br />

Zugehörigkeit zu Deutschland angesetzt waren. Sie sind mit den anderen Wahlkreisen nicht wirklich<br />

vergleichbar. In Ostpreußen und Oberschlesien hatte die KPD insbesondere während des russischpolnischen<br />

Krieges extrem nationalistische Positionen vertreten, was sich offensichtlich für die KPD,<br />

noch mehr jedoch für die DNVP auszahlte. Dieses Phänomen soll hier kurz erklärt werden.<br />

In Oberschlesien, Ostpreußen und den ganzen östlichen Grenzregionen spielte die<br />

Auseinandersetzung mit Polen um die endgültige Grenzziehung eine große Rolle bei der Schwächung<br />

der Autorität der Regierung und der sie tragenden Kräfte.<br />

Die deutsche Regierung fand von Anfang an keine tragfähige Konzeption für die Neugestaltung der<br />

Beziehungen zu Polen. In den Beziehungen zu Polen konnte Hitler auf den fragwürdigen Schatz an<br />

diplomatischen Mustern aus der Weimarer Republik nahtlos aufbauen. Und die Weimarer Koalition<br />

schöpfte aus den Traditionen des preußisch-deutschen Kaiserreichs, ohne eigene Akzente zu setzen;<br />

sie machte eine unentschiedene mehr konservative als fortschrittliche Außenpolitik. In der Phase der<br />

Nationalversammlung wurde noch nicht auf die sowjetrussisch-deutsche Karte gesetzt, wie es von der<br />

KPD und der DNVP favorisiert wurde; andererseits wurden die deutsch-polnischen Beziehungen nicht<br />

wirklich entkrampft.<br />

Die Gründung des polnischen Staats erfolgte scheibchenweise. 1915 wurde <strong>das</strong> von Russland<br />

eroberte Kongresspolen in zwei Generalgouvernements eingeteilt, ein von General von Beseler<br />

verwaltetes in Warschau, ein von General Kuk verwaltetes in Lublin. Sehr schädlich für die prinzipiell<br />

mittelmächtefreundliche Stimmung in Kongresspolen wirkten sich geplante Gebietsabtretungen an<br />

Preußen und Österreich aus. Am 5. November 1916 wurde im Säulensaal des Warschauer Schlosses<br />

von General Hans von Beseler <strong>das</strong> Königreich Polen proklamiert, allerdings ohne Grenzen und ohne<br />

einen König. Es entstanden zwei polnische Parteien; eine deutschfreundliche und eine<br />

deutschfeindliche, letztere naturgemäß besonders in der Provinz Posen, die zu Preußen gehörte und<br />

keine Aussicht auf die Unabhängigkeit sah. Am 22. Januar 1917 sprach sich Präsident Roosevelt im<br />

Senat für ein unabhängiges und geeintes Polen aus, was die Unabhängigkeitsbewegung stärkte. Am<br />

22. Juli 1917 nahm <strong>das</strong> Unglück seinen Lauf: Staatsrat Pilsudski wurde von General von Beseler in<br />

Schutzhaft genommen, nachdem man sich über die Eidesformel für die polnische Armee verstritten<br />

hatte. Pilsudski saß bis Oktober 1918 in der Festung Magdeburg. Derweilen kam es im Dezember<br />

1917 zu neuen Irritationen. Der von Deutschland initiierte Landesrat von Litauen proklamierte einen<br />

Staat mit der etwa hälftig polnisch bewohnten Hauptstadt Wilna, was in Polen zu Verärgerung führte.<br />

Am 9. Februar 1918 waren die Friedensverhandlungen zwischen Deutschland und der Ukraine soweit<br />

gediehen, <strong>das</strong>s es zur Unterzeichnung des Friedensvertrags kam. Chelm sollte an die Ukraine<br />

abgetreten werden, was in Polen zu erneuter Unruhe führte. Am 22. März 1918 beschloß der<br />

deutsche Reichstag den Aufbau von nationalen Verwaltungen in Polen, Litauen und Kurland, kurze<br />

Zeit später wurde diese Geste durch die polenfeindliche Haltung des preußischen Herrenhauses<br />

konterkariert. Nach der Machtübernahme von Max von Baden bat der polnische Regentschaftsrat am<br />

6. Oktober 1918 um die Freilassung Pilsudskis. Gleichzeitig übergab Hans von Beseler die Verwaltung<br />

an polnische Beamte. Am 15. Oktober 1918 fielen Galizien und Lodomerien von Österreich ab und<br />

erklärten sich als Bestandteil des polnischen Staates. Die polnischen Regimenter des österreichischen<br />

Heeres, die Reste von Pilsudskis Legion und die blaue Armee General Hallers, die in Frankreich<br />

aufgestellt worden war, vereinigten sich zur polnische Armee. Am 8. November entsandte Max von<br />

Baden den Diplomaten Harry Graf Kessler nach Magdeburg, um die Freilassung Pilsudskis<br />

vorzubereiten. Bis hierhin war die deutsche Politik gegenüber Polen sehr unentschieden betrieben<br />

worden; zwischen großzügiger Geste, kleinlichem Misstrauen und unbedachter Provokation. Nun<br />

musste man den Führer der Unabhängigkeitsbewegung freilassen und versuchte die Stimmung<br />

Pilsudskis in einem Moment zu erkunden, ja Garantien und Versprechen von ihm zu erlangen, wo er<br />

eindeutig der überlegene Part war. 279<br />

Die deutsche Politik tat viel Richtiges und viel Falsches, aber <strong>das</strong> Richtige meistens zum falschen<br />

Zeitpunkt und <strong>das</strong> Falsche zum „richtigen“ Termin, wo es den außenpolitischen Schaden unbehindert<br />

entfalten konnte. Graf Kessler sollte <strong>das</strong> in Jahren Versäumte nun an zwei Tagen richten.<br />

279 Wikipedia: Das Regentschaftskönigreich Polen<br />

189

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