Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik
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Die ideologische Fahrgasse des „Wahren Jakob“, des „Simpel“, der „Jugend“, des „Kladderadatsch“, der „lustigen<br />
Blätter“, der „fliegenden Blätter“ und des „Ulk“ trennte <strong>das</strong> dem vermeintlichen Fortschritt zustimmende junge und<br />
<strong>das</strong> den angeblichen Fortschritt ablehnende alte Deutschland. So war es dem Volk von den Intellektuellen<br />
jahrzehntelang polarisierend eingebläut worden.<br />
Die NSDAP selbst wählte eine Außendarstellung als junge Kraft: Sie profilierte sich einerseits in<br />
Konkurrenz zum ebenfalls jungen Linkselitarismus der KPD, andererseits grenzte sie sich jedoch auch<br />
von der alten Reaktion ab. Aus Rücksicht auf die schwachen Nerven vieler Leser zitiere ich nur eine<br />
Strophe des Horst-Wessel-Liedes, nicht ohne zu erwähnen, <strong>das</strong>s die Abgrenzung gegenüber der<br />
Reaktion mehrfach wiederholt wurde:<br />
Die Fahne hoch die Reihen fest geschlossen<br />
S.A. marschiert mit ruhig festem Schritt<br />
|: Kam'raden die Rotfront und Reaktion erschossen<br />
Marschier'n im Geist in unsern Reihen mit :|<br />
So wie jung per definition fortschrittlich war und alt reaktionär, so war gesund per Dekret gut und krank<br />
war böse. Konsequenterweise tadelte Tucholsky Joseph Goebbels nicht wegen seiner<br />
Tribunenraserei, sondern wegen Klumpfuß und Psychose. Wegen diesem Jugend- und<br />
Gesundheitswahn wurden der junge Faschismus und der gesunde Stalinismus bewundert und<br />
gepriesen, und <strong>das</strong> in traditionellen parlamentarischen Bahnen seinem sicheren Untergang<br />
entgegenwankende demokratisch verfasste Deutschland von ganzem Herzen zutiefst gehasst.<br />
Tucholsky schrieb 1926 in der Weltbühne:<br />
„Da sind zwei Kräfte in Europa, die ausgeführt haben, was sie wollten: Die Faschisten und die<br />
Russen. Der entscheidende Faktor ihrer Siege war die mutige Unversöhnlichkeit.“<br />
Die Saat von Kurt Hillers Aktionismus war aufgegangen, die geernteten Früchte waren nicht rot, nicht<br />
braun, sondern wie man an Tucholsky sieht rotbraun. Zur Ehre und Teilentschuldigung der deutschen<br />
Intellektuellen muß man daran erinnern, <strong>das</strong>s Schriftsteller und Literaten auch im Ausland gegen die<br />
Demokratie mobil machten: George Bernard Shaw schrieb an Lady Astor:<br />
„... so kommt es dazu, daß Leute, die etwas getan sehen wollen, sogar Hitler, Mussolini und<br />
Atatürk dem Parlament vorziehen.“<br />
Triumph des Willens, Sieg der Aktion, <strong>das</strong> waren die Parolen der Expressionisten der unmittelbaren<br />
Vorkriegszeit. 12 Jahre waren inzwischen vergangen und ein Krieg verloren. Wenn es intellektuelle<br />
Tiere gibt, die auf dich schauen, so gehören sie zu den Widerkäuern. Tucholsky gehörte zu den<br />
Widerkäuern von Nietzsche, den er 1929 dafür lobte, dem Deutschen wieder eine Prosa gegeben zu<br />
haben. Alle Wünsche von Tucholsky gingen für 12 Jahre in Erfüllung: Sozialdemokraten und<br />
Katholiken wurden von der Macht verdrängt, Stresemann ärgerte sich zu Tode, und jüngere Leute<br />
kamen ans Ruder. Nur mit der Gesundheit dieser Jungen haperte es: Hitler war Abstinenzler aus<br />
Todesangst, Göring rauschgiftsüchtig und übergewichtig, Goebbels hatte einen Klumpfuß.<br />
Nun gibt es noch die herrschende Meinung, <strong>das</strong>s alle Unzulänglichkeiten Tucholskys durch seinen<br />
Pazifismus aufgewogen würden. Dieser Pazifismus entstand bei Tucholsky vergleichsweise spät.<br />
Viele kriegsfreiwillige Expressionisten und einige Wandervögel hatten bereits 1915, 1916 oder 1917<br />
erkannt, <strong>das</strong>s es einen Unterschied zwischen dem heiligen Schauer beim Töten im Gedichtband und<br />
dem profanen Schlamm und Schmutz im Schützengraben gab. Tucholsky gehörte dagegen offenbar<br />
zum letzten Aufgebot der Kriegsliteraten. Noch im August 1918 anläßlich des Aufrufs zur 9.<br />
Kriegsanleihe nahm Tucholsky in der Kategorie „Literarische Beiträge“ am<br />
Heldenverschönerungswettbewerb der „Frankfurter Zeitung“ teil. Tucholsky bemühte sich zwar, kam<br />
bei diesem Kriegsverlängerungscontest nicht unter die preiswürdigen Beiträge.<br />
Auch nach 1918 fiel dem selbsternannten Pazifisten Tucholsky die Friedenspfeife aus dem<br />
zweizüngigen Mund, als er im Konflikt mit Polen um Oberschlesien <strong>das</strong> publizistische Kriegsbeil<br />
ausgrub, und als einer der schlimmsten Kriegshetzer auffällig wurde. Pazifismus war nur solange<br />
opportun, wie er „jungen Völkern“ und dem Reformismus half; wenn es gegen den alten Katholizismus<br />
herging, dann wurde dem alten heidnischen Krigsgott Mars gefrönt.<br />
Georg Lukacs war der Theoretiker, der den reformistischen Lenin mühelos rechts überholte. Er<br />
überarbeitete in der Mitte der zwanziger Jahre die Lehre von der Partei neuen Typus dahingehend,<br />
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