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Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

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Die Herrschaft über Sonne, Mond und Sterne<br />

Max Stirner hatte 1840 herum den Kampf der Elite gegen die Masse begonnen, Nietzsche hatte ihn zu<br />

einer Ersatzreligion getrimmt und die Expressionisten hatten ihn in der Vorkriegszeit gemalt. Was war<br />

nach dem Kriege von der barbarischen Elitetheorie noch vorhanden?<br />

Walter Benjamin beklagte, <strong>das</strong>s im Angesicht der total mobil gemachten Landschaft <strong>das</strong> deutsche<br />

Nationalgefühl einen ungeahnten Aufschwung genommen habe. Die Friedensgenien, die diese<br />

Landschaft so sinnlich besiedelten, seien evakuiert worden,<br />

„und soweit man über den Grabenrand blicken konnte, war alles umliegende zum Gelände des<br />

deutschen Idealismus selbst geworden, jeder Granattrichter ein Problem, jeder Drahtverhau eine<br />

Autonomie, jeder Stachel eine Definition, jede Explosion eine Satzung und der Himmel darüber bei<br />

Tag die kosmische Innenseite des Stahlhelms, bei Nacht <strong>das</strong> sittliche Gesetz über ihr. Mit<br />

Feuerbränden und Laufgräben hat die Technik die heroischen Züge im Antlitz des deutschen<br />

Idealismus nachziehen wollen.“<br />

Max Klinger malte "Arbeit – Wohlstand – Schönheit" (1918). Das Gemälde entstand in der<br />

euphorischen Periode zwischen dem Siegfrieden mit Russland und der deutschen Kapitulation. Es<br />

war der verklärte Blick vom Naumburger Weinberg auf die <strong>Neue</strong> Unstrut<br />

Durch die deutsche Niederlage war <strong>das</strong> Gesicht des deutschen Idealismus über die deutschen<br />

Grenzen hinaus bekannt geworden und <strong>das</strong> deutsche Gesellschaftsmodell im Überlegenheitscontest<br />

gescheitert. Die Verbreitung des deutschen Wesens auf den Rest der Welt war zunächst nicht<br />

durchführbar. Die Herrschaft der deutschen Geistigen über die westlichen Materialisten rückte erst<br />

einmal in weite Ferne.<br />

Der verlorene kriegerische Wettbewerb der Nationen führte bei den Intellektuellen zu einer Reaktion,<br />

welche man rückblickend als trotzkistisch bezeichnen würde: die Theorie sei richtig, nur die praktische<br />

Anwendung dieser Theorie habe nicht funktioniert. Man müsse <strong>das</strong> ganze noch einmal wiederholen.<br />

Die Jünger der Theorie spalteten sich in zwei Lager: Die einen sahen in der jungen Sowjetunion <strong>das</strong><br />

Reich der aufgehenden Sonne, die anderen wollten Deutschland noch einmal verjüngen und dann zur<br />

nächsten Runde des Kräftemessens antreten. Beide Seiten, die vor dem Kriege noch in elitaristischer<br />

Wohngemeinschaft miteinander gelebt hatten und gelegentlich die Konkubine, den Pinsel, die<br />

Malfarbe und die Kunstgazette miteinander geteilt hatten, vergaßen ihr Herkommen und ihre<br />

Gemeinsamkeiten, um in zwei Parallelgesellschaften einzutauchen, die einen heißen und kalten<br />

Bürgerkrieg miteinander führten und nur noch gelegentlich, zum Beispiel als Bewunderer Mussolinis<br />

oder beim Stalin-Hitler-Pakt zusammentrafen.<br />

Der Freikorpsführer Eggert etwa äußerte sich im völkischen Sinne vor dem Sturm auf den Annaberg:<br />

„Wachst über die Norm der Tapferen hinaus in die einsame Höhe der großen Einsamen der<br />

deutschen Nation! Das ist kein Befehl mehr! Das ist die Botschaft einer neuen Welt, die mit eurem<br />

Sieg beginnt oder die mit unser aller Untergang als Sehnsuchtstraum der kommenden zu den<br />

Sternen steigt! – Das Freikorps rückt in die Ausgangsstellung!“<br />

Hauptmann Bertold verschränkte <strong>das</strong> deutsche und <strong>das</strong> internationale psychologistisch:<br />

“Wenn ein Mensch aus der Masse herausdrängt und sich größere Lebensziele steckt, wenden sich<br />

alle von ihm ab, nur ganz wenige verstehen ihn. Sieht man Deutschland an, <strong>das</strong> Leben der Völker,<br />

es ist gleichsam verkörpert im Einzelwesen. Der ganze Feindbund gegen uns ist aufgebaut auf<br />

Haß und Neid gegen den unermüdlich vorwärtsstrebenden, rastlos arbeitenden Deutschen.“ 237<br />

Man soll sich nichts vormachen: Das Motiv des Siegens gegen den Rest der Welt, mit dem Risiko,<br />

<strong>das</strong>s Deutschland in Scherben geht, hatte sich in die intellektuelle Phantasie eingebrannt. Es fehlten<br />

nur noch die cleveren Ideologen, die dem deutschen Volk als Masse die <strong>Neue</strong> Deutsche Wolle auf<br />

ihrem leeren Webstuhl zeigten und deren Vorzüge erläuterten.<br />

237 Zitate aus Theweleit: Männerphantasien, Bd. 2, S. 54<br />

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