15.11.2012 Aufrufe

Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Die Bekanntschaft mit Friedrich Nietzsche datierte bereits aus dem Jahr 1868. Nach 1849 begann<br />

Wagner kunsttheoretisch zu arbeiten. In seiner Abhandlung "Oper und Drama" begann er seinen<br />

Kampf gegen die Musik als Unterhaltung und die Oper als Unterhaltungsindustrie. In den Mittelpunkt<br />

seiner Arbeit rückte <strong>das</strong> Drama, dem sich die Musik unterzuordnen hatte. Nicht der verderbte<br />

Geschmack des Publikums, sondern <strong>das</strong> Kunstwerk als Selbstzweck und der Künstler als solcher<br />

rückten in den Mittelpunkt des theatralischen Olymps. Der Opernbesucher sollte nicht nach einem Tag<br />

der Arbeit, der Mühe und des Stresses zur Zerstreuung in die Oper eilen, sondern eigens<br />

eingeladene, in Bayreuth verweilende Sommerfrischler sollte nach den Zerstreuungen des Tages<br />

abends im Festspielhaus den Eindruck der Aufführung empfangen.<br />

"So mit frischen, leicht anzuregenden Kräften, wird ihn der erste mystische Klang des unsichtbaren<br />

Orchesters zu der Andacht stimmen, ohne die kein wirklicher Kunsteindruck möglich ist."<br />

Es ist unschwer zu erkennen, und so ist es bis heute, daß der Unterhaltungsanspruch für ein breites<br />

Publikum bewußt aufgegeben wurde und eine elitäre Bande mit hohem Aufwand bespielt wurde. Der<br />

Ersatz der Unterhaltungsmusik durch die E-musik und <strong>das</strong> Primat des Dramas über die Musik ebneten<br />

den Weg in einige elitäre Jahrzehnte.<br />

Ernst Haeckel als unglücklicher Popularisierer von Darwin übertrug die Selektionstheorie bedenkenlos<br />

aus dem Tierreich in die menschliche Gesellschaft und schlug damit <strong>das</strong> Tor in den Sozialdarwinismus<br />

weit auf. Eugenische Konzepte des späten Kaiserreichs und der Weimarer Republik, Hitlers<br />

Vorstellungen vom Vorrecht des Stärkeren, sind kaum begreifbar ohne <strong>das</strong> Herüberschwappen des<br />

Biologismus in die Politik. Vom Biologismus war es nur ein kleiner Schritt zur Rassentheorie, die keine<br />

Erfindung Adolf Hitlers war, sondern sich bereits Ende des 19. Jahrhunderts weitester Verbreituing<br />

erfreute.<br />

Beispiel Fidus-Plakat für den Kongreß für biologische Hygiene im Oktober 1912. Unter biologischer Hygiene<br />

verstanden die Teilnehmer natürlich vor allem Rassenhygiene, ein Thema war laut Plakattext die Eugenik. Der<br />

blonde, helläugige nordische Mensch ist im Begriff seine Fesseln zu lösen und sich zu den Sternen als Symbol<br />

einer mystisch verklärten höheren Welt zu erheben. Wer ihm die Fesseln angelegt hat? Sind es christliche oder<br />

jüdische Unterdrücker?<br />

Ab 1900 nahm die Reformpädagogik ihren Lauf. Da der Verstand als Quelle allen Übels gerade unter<br />

Beobachtung stand, triumphierte notwendig auch in der Erziehungswissenschaft <strong>das</strong> Gefühl. Dem<br />

Kinde sollte idealtypisch nichts beigebracht werden, sondern <strong>das</strong> dem Kinde vermeintlich inhärente<br />

„eigene Wesen“ sollte entwickelt, <strong>das</strong> „volle starke persönliche Kinderleben“ forderte sein Recht.<br />

Auslöser war <strong>das</strong> 1899 erschienene „Jahrhundert des Kindes“ von Ellen Key. 1905 war es in<br />

Deutschland bereits 26.000 mal verkauft worden. Die Schule sollte Gesamtschule sein, <strong>das</strong> Prinzip<br />

der Ganzheitlichkeit des Lernens mit Herz, Gefühl, Kopf und Hand verkörpern. Bereits 1899 wollte Key<br />

auf Zensuren und Belohnungen verzichten und den obligatorischen Stoff gegenüber den Wahlfächern<br />

einschränken. Mythisierung und Romantisierung des Kindes, <strong>das</strong> Dogma des „Wachsenlassens“<br />

nahmen breiten Raum ein, in die Kinderseele wurde mehr hineingedeutet, als von Natur aus drin war.<br />

Sie wurde leicht zum Zerrspiegel reformpädagogischer Wünsche, was man an in die Schule<br />

mitgebrachtem Wesen zu erkennen wünschte, fand man irgendwie auch, oder man projizierte es in<br />

<strong>das</strong> Kind. Bereits in den dreißiger Jahren kritisierte Heydorn:<br />

„Mit der Befreiung der schöpferischen Natur des Kindes sollte der Mensch befreit werden. Der<br />

Angriff richtete sich gegen <strong>das</strong> Erstarrte, die Buch- und Formenschule, in der Tiefe aber nicht nur<br />

gegen <strong>das</strong> Absterbende, manieristisch-brutale Bewußtsein, sondern gegen alle Bewusstmachung<br />

überhaupt, alles Licht; eine magische Welt des Kindes wird der Welt des produktiven Bewusstseins<br />

gegenübergestellt, eine vorbewusste Welt, die den <strong>Menschen</strong> vor Eintritt in seine Geschichte zeigt<br />

und ihn dort festhalten will...“ 30<br />

Als Hermann Hesse 1901 über seine Kindheit schrieb, schien er Ellen Key bereits gelesen zu haben:<br />

30 <strong>Wolfgang</strong> Keim: Bewegung vom begüterten und rassisch gesunden Kinde, Frankfurter Rundschau, 30.12.1999<br />

32

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!