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Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

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<strong>das</strong> Studium der politischen Auswirkungen von privater Planwirtschaft eine umfangreiche<br />

Fallsammlung bereit, wie kein anderes Land auf der Welt. Die schlimmste Tyrannei in einem<br />

deutschen Gemeinwesen, die am tiefsten in <strong>das</strong> Leben der Individuen einschnitt, herrschte bei den<br />

Siebenbürger Sachsen, die sich ebenfalls ohne Eingriffe eines Landesherrn selbst verwalten durften.<br />

Bei Eheschwierigkeiten beispielsweise wurden die Paare so lange in ein Zimmer gesperrt, bis sie sich<br />

wieder vertrugen. Genausowenig wie im schönen Mittelalter entwickelte sich aus der<br />

Wirtschaftstyrannei von wirtschaftlichen Zwangsvereinigungen der Weimarer Republik eine politische<br />

Demokratie. Sie waren so wie die Wirtschaftsvereinigungen des Mittelalters keine Brutstätten der<br />

Demokratie, sondern Kinderstuben der Tyrannei. Das verkannt zu haben ist die wirkliche Schuld der<br />

Sozialdemokratie in der Weimarer Republik, es ist gemessen an der Produktionskraft Deutschlands<br />

jedoch eine gewaltige Schuld. Organisierten Kapitalismus gibt es nicht, weil es dann kein Kapitalismus<br />

ist, weil der Geist des Kapitalismus schläft, wenn die Organisierer mit ihren Flügeln schlagen.<br />

Eine direkt sozialisierte Wirtschaft gab es in der Weimarer Republik mehr am Rande: Die Betriebe des<br />

Reichsschatzministeriums "Deutsche Werke AG", die Viag und die Betriebe des Bundeslandes<br />

Preußen beschäftigten ganze 2 % der Arbeitnehmer. Insgesamt beschäftigten alle gewerblichen<br />

Betriebe der öffentlichen Hand zusammen 11 % der beschäftigten Personen. 156<br />

Statt einer sozialisierten Wirtschaft wurde auf die sogenannte Gemeinwirtschaft gesetzt. der<br />

Reichstagsabgeordnete Sinzheimer (SPD) charakterisierte sie so:<br />

"Die Gemeinwirtschaft hält an sich <strong>das</strong> Privateigentum an den Produktionsmitteln, den<br />

Privatbetrieben aufrecht. Sie faßt nur organisatorisch zusammen und nimmt sie unter Kontrolle<br />

nach sozialen Gesichtspunkten." 157<br />

Reichswirtschaftsminister Wissel (SPD) nannte <strong>das</strong>selbe so:<br />

"Die Gemeinwirtschaft bedeutet die organische Eingliederung und Einordnung der einzelnen<br />

wirtschaftlichen Unternehmungen in die Gesamtheit des Reichs, die Unterordnung der<br />

privatwirtschaftlichen Interessen unter die Interessen der Gesamtheit" 158<br />

Mit den Interessen der Gesamtheit meinte er die Interessen des Staats, der Begriff der organischen<br />

Eingliederung erinnert fatal an <strong>das</strong> Gesetz zur Vorbereitung des organischen Aufbaus der deutschen<br />

Wirtschaft von 1934. Eine staatliche Planwirtschaft mit Privateigentum war <strong>das</strong> Ziel und auch <strong>das</strong><br />

Ergebnis.<br />

Es ist schwer diesen deutschen Sonderweg des Wirtschaftens zu beschreiben: Wenn gerade einmal<br />

keine Preiskontrollen durchgeführt wurden (nur 4 Jahre von Juli 1926 bis Juli 1930) gab es bei der<br />

Preisbildung schon <strong>das</strong> Gesetz von Angebot und Nachfrage als kapitalistisches Prinzip. Die längste<br />

Zeit wurden jedoch die Produktionsmenge und die Preise gesteuert. Der Außenhandel war praktisch<br />

ein staatliches Monopol, <strong>das</strong> auch nur zeitweilig gelockert wurde. Devisenzwangswirtschaft gab es bis<br />

Ende 1924 und ab dem Juli 1931 wieder. Fast alle staatlichen Eingriffe verbargen sich hinter der<br />

Fassade der Selbstverwaltung der Wirtschaft. Die Machtfülle der Wirtschaftsverbände gegenüber den<br />

Einzelunternehmungen erinnert an die Allmacht der Zünfte gegenüber den Meistern, die detaillistische<br />

Reglementierung gleicht auch der bei den Zünften. Einige Kartellverwaltungen der Weimarer Zeit<br />

hatten bis zu 1.000 Mitarbeiter und übertrafen die Zahl der Mitarbeiter in den Verwaltungen der<br />

angeschlossenen Betriebe bei weitem.<br />

156<br />

M. Nussbaum, Wirtschaft und Staat in Deutschland während der Weimarer Republik, Akademie-Verlag, Berlin,<br />

1978, S. 195<br />

157<br />

Drucksachen der Verfassunggebenden Nationalversammlung, Nr. 886<br />

158<br />

Verhandlungen der Nationalversammlung Bd. 326, S. 544<br />

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