Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik
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Verzunftung auf nationaler Ebene<br />
Die asiatische Staatswirtschaft und <strong>das</strong> tripartistische als Moderationsmodell zwischen<br />
Wirtschaftsverbänden, Gewerkschaften und dem Staat sich abbildende Planwirtschaftssystem, <strong>das</strong><br />
sich in Deutschland herausgebildet hatte, unterscheiden sich, obwohl beides Planwirtschaften sind.<br />
Die Planwirtschaften in Rußland und in Deutschland beispielsweise entwickelte sich logisch und<br />
historisch unterschiedlich. In Rußland entstand die Staatswirtschaft anläßlich des Mongolensturms, als<br />
die Beamten der Goldenen Horde scharenweise nach Moskau strömten und ihre Erfahrungen<br />
einbrachten. In Deutschland wurde die Planwirtschaft aus den Genossenschaften des Mittelalters<br />
generiert. In Rußland, <strong>das</strong> von Karl Marx immer wieder als asiatisch charakterisiert worden war,<br />
funktionierte die Industrie anders, als in Deutschland. Sie war überwiegend direkt staatlich wie die<br />
Putilow-Werke oder die Kohlebergwerke im Ural.<br />
Woher kam in Deutschland <strong>das</strong> Konstrukt einer organisch mit dem Staat verschränkten<br />
Privatwirtschaft? Wie war es möglich, daß Privatleute sich industriezweigweise, teilweise<br />
produktbezogen zusammenschlossen, um die Produktion nach einem gemeinsamen Plan zu<br />
organisieren? Die ganze Konstellation erinnert an die Zünfte der städtischen Handwerker des späten<br />
Mittelalters und der frühen Neuzeit. Auch in den Zünften organisierten sich Privatleute, auch dort<br />
wurde gemeinsam eingekauft, auch dort wurde die Zahl der Arbeitskräfte in die Organisation<br />
einbezogen, auch dort ging der gemeinsame Nutzen allem voran.<br />
"Der Charakter der Verfassung und Tätigkeit der Zünfte wird durch Grundsätze doppelter Art<br />
bestimmt, einerseits durch den Grundsatz der Gleichheit und Solidarität der Zunftgenossen<br />
untereinander und andererseits durch den Grundsatz der Abschließung zu allen anderen. Das<br />
Prinzip der Gleichheit aller Mitglieder kommt in der Gewährung gleicher Vorteile für alle<br />
Zunftgenossen, des Genusses gleicher Vergünstigungen zu gleichen Rechten zum Ausdruck. In<br />
der Anschaffung der Rohstoffe sollten alle Genossen gemeinsam vorgehen; kaufte ein Handwerker<br />
Rohmaterial ein, so war er verpflichtet, auf Verlangen eines anderen ihm einen Teil davon zum<br />
Selbstkostenpreise zu überlassen; auch hatte er die Genossen von dem geplanten Einkauf, von<br />
der ihm zu diesem Zwecke bevorstehenden Reise in Kenntnis zu setzen usw. Es wurde ferner <strong>das</strong><br />
für den einzelnen Handwerker zulässige Höchstmaß im Umfange der Gewerbebetriebe bestimmt;<br />
es war verboten, die festgesetzte Höchstzahl von Gesellen und Lehrlingen zu überschreiten,<br />
Rohstoffe über ein bestimmtes Quantum hinaus einzukaufen....Es war auch verboten, einander<br />
Gesellen oder Kunden abspenstig zu machen, oder eine von einem anderen Meister begonnene<br />
Arbeit fortzusetzen. Die Zünfte gingen noch weiter und schritten zu einer (öfters von der Obrigkeit<br />
verbotenen) gemeinsamen Festsetzung der Preise für die erzeugten Waren....Die Tendenz der<br />
Abschließung der Zunft der Außenwelt gegenüber fand im Prinzip des Zunftzwanges ihren<br />
Ausdruck." 160<br />
Karl Marx bemerkte über <strong>das</strong> Zunftwesen, daß der Hauptzweck des städtischen Handwerks, obgleich<br />
es auf Austausch und Schöpfung von Tauschwerten beruhe, die Subsistenz als Handwerker, als<br />
Handwerksmeister, also Gebrauchswert und nicht Bereicherung sei. 161 Für ihn gehörte <strong>das</strong> zünftige<br />
Handwerk in die vorbürgerlichen Epochen und nicht in die frühbürgerlichen, denn der Kapitalismus<br />
entwickelte sich überall nicht in den zünftigen Städten, sondern auf dem unzünftigen Lande.<br />
Nicht nur <strong>das</strong> Handwerk, auch der Handel des Mittelalters gehorchte der Zwangswirtschaft. Wo<br />
Handwerker Zünfte bildeten, dort organisierten sich überörtlich agierende Händler und Kaufleute in<br />
Gilden. Sie waren Schutzgemeinschaften mit gemeinsamen Einrichtungen wie Hallen, Ufermauern<br />
und Kränen. Innerstädtisch waren die Krämer wie die Handwerker in Zünften organisiert, <strong>das</strong><br />
Abspenstigmachen von Kunden war wie bei den Handwerkern verboten.<br />
Wie es im Handwerk und im Handel zuging, so auch bis ins frühe 19. Jahrhundert in der<br />
Landwirtschaft. Zwar war der überwiegende Teil der landwirtschaftlichen Nutzfläche als Acker privat,<br />
im Gegensatz zu den Gemeindeländereien, die allen zugänglich waren. Der private Acker wurde<br />
jedoch nach einem gemeinsamen Wirtschaftsplan in Gewannen bewirtschaftet, d.h. Fruchtfolge,<br />
Bestellung, Aussaat und Ernte wurden gemeinsam festgelegt, es herrschte Flurzwang, bei dem kein<br />
Flurgenosse aus der Reihe tanzen konnte, auch wenn er besser zu wissen glaubte, als die<br />
Genossenschaft, wann und was zweckmäßig gesät und geerntet werden könnte. Das Individuum war<br />
160<br />
Josef Kulischer: Allgemeine Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters und der Neuzeit, Rütten & Loening, Berlin<br />
1954, Bd. 1, S. 192 ff<br />
161<br />
Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie, Dietz Verlag Berlin 1974, S. 411 ff.<br />
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