Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik
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Walter Ulbricht versuchte dieses scheinbar erfolgreiche klassenübergreifende Modell mit dem Begriff<br />
der sozialistischen <strong>Menschen</strong>gemeinschaft für seine Ziele fruchtbar zu machen, aber sein Nachfolger<br />
Honecker hob den Proletarier als führende Kraft wieder allein auf den Sockel. Nur die sogenannte<br />
produktive Arbeit, die Arbeit von Handlangern, Reparaturschlossern oder Maschinenbeschickern<br />
wurde als vollwertige Arbeit anerkannt, andere Arbeiten waren nicht produktiv, waren ein Moment der<br />
Gemeinkosten und damit ein notwendiges Übel oder minderwertig. Es war und bleibt ein<br />
kommunistisches Paradoxum: Gerade nachdem oder obwohl die Kommunisten den Kapitalismus und<br />
die Warenproduktion und damit auch die warenproduzierende Arbeit abgeschafft hatten, wurde nur<br />
die Arbeit geachtet, die im Kapitalismus Waren produziert. Die warenproduzierende Arbeit war als<br />
vermeintlich sozialismusstiftender Faktor in den Bernstein der Erinnerung gegossen worden und führte<br />
von nun an ein von den Realitäten abgesondertes Eigenleben.<br />
An den ökonomischen Kategorien der Arbeitsproduktivität und der Gemeinkosten, die es vor dem<br />
Kapitalismus nicht gab und die im Sozialismus keinen Sinn machten, wurde von der Parteiführung<br />
festgehalten; man klammerte sich an Begriffe, für die man nicht reif war, und die im sozialistischen<br />
Milieu nur Verwirrung stifteten. Die körperlichen Kräfte der Innovation, die Ingenieure, wurden so zu<br />
Handlangern der Produktion stilisiert, was sie im Sozialismus und in anderen vorbürgerlichen<br />
Gesellschaften auch objektiv überall waren.<br />
Das zweite Paradoxum steht mit der Missachtung der nicht warenproduzierenden Arbeit in einem<br />
innigen Verhältnis. Es besteht in der Hochachtung der Sozialisten, Kommunisten und<br />
Nationalsozialisten gegenüber der Technik und gegenüber dem technischen Fortschritt. Die<br />
Fortschrittsgläubigkeit und Technikbegeisterung nutzten aber nichts: Selten entstand sowenig<br />
Innovatives wie unter den genannten sozialistischen Systemen. Hitler fehlten zum Schluß am Endsieg<br />
<strong>das</strong> Radar und die Atombombe, die derweilen im angelsächsischen Raum entwickelt wurden, Ulbricht<br />
und Honecker führten den Erfindergeist ständig im Munde, aber es war, als sprächen Blinde von der<br />
Farbe. Hitler war auf die traditionellen Waffensysteme des Ersten Weltkriegs fixiert. Er begriff nicht die<br />
entscheidende Rolle des Radars, der Atomspaltung, des schallgesteuerten Torpedos und der<br />
thermisch gesteuerten Boden-Luft-Rakete. Gegen den Rat der Techniker verzögerte er die<br />
Entwicklung des Düsenflugzeugs Me 262. Als es endlich gebaut werden durfte, mußte es gegen die<br />
Überzeugung der Fachleute auf einsamen Entschluß des größten Feldherrn aller Zeiten als Bomber<br />
und nicht als Jäger hergestellt werden. Das Leitbild des schwitzenden Arbeiters hing über jenem des<br />
denkenden und nicht transpirierenden Wissenschaftlers und Technikers.<br />
Tatsächlich und faktisch betrug der Anteil der abhängig Beschäftigten in der Weimarer Zeit um 66 %.<br />
Von den abhängig Beschäftigten fühlten sich nicht alle als Arbeiter und es waren auch nicht alle<br />
abhängig Beschäftigte Arbeiter. Die deutsche Arbeit und mit ihr die deutschen Arbeiter waren seit der<br />
Jahrhundertwende immer gefährdet, da die deutsche Arbeit im internationalen Vergleich bereits<br />
damals Hochlohnarbeit war.<br />
Friedrich Naumann schrieb 1908 zu diesem Thema:<br />
"An billiger Massenarbeit ist nichts zu verdienen. Sie muß auch gemacht werden, aber mit<br />
deutschen Kräften kann man auch besseres leisten. Die geringeren Arbeiten nehmen früher oder<br />
später halbgebildete Völker an sich. Was tun wir dann? Dann sind wir entweder ein Volk, dessen<br />
Stil und Geschmack sich in der Welt durchgesetzt hat, oder wir hungern mit den Orientalen um die<br />
Wette, nur um zu sehen, wer die billigsten Massenartikel aus Fleisch, Blut und Eisen<br />
herauspressen kann." 182<br />
Heute beklagen Nationalsozialisten und Globalisierungskritiker die Auswirkungen der Globalisierung<br />
auf Deutschland, insbesondere auf den Arbeitsmarkt und geben billigeren Arbeitern aus dem Ausland<br />
die Schuld, daß deutsche körperliche Arbeit entwertet wird. Umgekehrt wollen sie die Bauern von<br />
Chiapas vor dem Weltmarkt schützen und abgeschlossene Infantilgesellschaften mit völkischer<br />
Ernährungsbesonderheit erhalten. In der Weimarer Republik waren die Siegermächte mit ihren<br />
Reparationen, die Bestimmungen des Versailler Vertrags und die Ausbeutung durch die Juden in den<br />
Augen der Nationalsozialisten an den meisten Übeln und der Entwertung der deutschen Arbeit schuld.<br />
Wenn nur die Nationalsozialisten diese Meinung vertreten hätten, wäre es gegangen, aber durch die<br />
Gesellschaft der Spätkaiserzeit und der Zwischenkriegszeit zog sich ein breites<br />
globalisierungskritisches Band.<br />
182 Friedrich Naumann: Die Kunst im Zeitalter der Maschine, Buchverlag der Hilfe, Berlin, 1908<br />
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