Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik
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und Industrie wird fallen. Der zukünftige hohe Stil wird kein verzierender, sondern ein gestaltender<br />
sein. Darin haben die Futuristen recht. Es wäre allerdings ein Fehler, wollte man dies als eine<br />
Liquidierung der Kunst, als ihre Selbstaufgabe vor der Technik auslegen.(...) Bedeutet dies etwa,<br />
<strong>das</strong>s die Industrie die Kunst ganz in sich aufsaugen oder <strong>das</strong>s die Kunst die Industrie zu sich auf<br />
den Olymp emporheben wird? Diese Frage kann man so und anders beantworten, je nachdem, ob<br />
wir von der Industrie oder von der Kunst her an sie herangehen. Aber im objektiven Endergebnis<br />
wird es zwischen den Antworten keinen Unterschied geben. Beide bedeuten eine gigantische<br />
Erweiterung der Sphäre und eine nicht weniger gigantische Steigerung der künstlerischen<br />
Qualifikation der Industrie, wobei wir damit ausnahmslos die gesamte produktive Tätigkeit des<br />
<strong>Menschen</strong> meinen.“<br />
Das Bauhaus-Manifest hatte nur die hochmütige Mauer zwischen dem Handwerk und der Kunst<br />
niederlegen wollen, Trotzki ging darüber hinaus und stellte wie die späten Bauhäusler die Distanz<br />
zwischen Industrie und Kunst in Frage. Wie August Bebel wollte er die Welt physisch umgestalten:<br />
„Der neue Mensch, der sich erst jetzt projektiert und verwirklicht, wird nicht wie Kljujew, und nach<br />
diesem auch Rasumnik, die Auerhahnbalz und <strong>das</strong> Netz für den Stör dem Hebekran und dem<br />
Dampfhammer gegenüberstellen. Der sozialistische Mensch will und wird die Natur in ihrem<br />
ganzen Umfang einschliesslich der Auerhähne und der Störe mit Hilfe von Maschinen<br />
beherrschen. Er wird beiden ihren Platz anweisen, und zeigen wo sie weichen müssen. Er wird die<br />
Richtung der Flüsse ändern und den Ozeanen Regeln vorschreiben. Die idealistischen Tröpfe<br />
mögen glauben, dies werde langweilig werden – aber dafür sind sie eben Tröpfe. Natürlich wird<br />
dies nicht bedeuten, <strong>das</strong>s der ganze Erdball in Planquadrate eingeteilt wird und <strong>das</strong> die Wälder<br />
sich in Parks und Gärten verwandeln. Wildnis und Wald, Auerhähne und Tiger wird es<br />
wahrscheinlich auch dann noch geben, aber nur dort, wo ihnen der Mensch den Platz anweist. Und<br />
er wird dies so gescheit einrichten, <strong>das</strong>s selbst der Tiger den Baukran nicht bemerken und<br />
melancholisch werden, sondern wie in Urzeiten weiterleben wird. Die Maschine ist auf allen<br />
Lebensgebieten ein Werkzeug des modernen <strong>Menschen</strong>. Die gegenwärtige Stadt ist vergänglich,<br />
aber sie wird sich nicht in dem alten Dorf auflösen. Im Gegenteil, <strong>das</strong> Dorf wird sich grundsätzlich<br />
zur Stadt erheben. Das ist die Hauptaufgabe. Die Stadt ist vergänglich; aber sie kennzeichnet die<br />
Zukunft und weist ihr den Weg, während <strong>das</strong> gegenwärtige Dorf völlig in der Vergangenheit ruht.“<br />
Nach der Vision einer grundlegenden Veränderung der Erde durfte auch die Vorstellung von der<br />
Schaffung des <strong>Neue</strong>n <strong>Menschen</strong> und ausdrücklich des Übermenschen nicht zu kurz kommen. Wenn<br />
es sonst keinen Hinweis auf den Zusammenhang zwischen Nietzscheanismus und Futurismus gäbe,<br />
so hätte Blut-Kommissar Trotzki ihn uns gegeben:<br />
„Wovon heutzutage einzelne Enthusiasten nicht immer sehr gescheit träumen – hinsichtlich der<br />
Theatralisierung des Alltags und der Rhythmisierung des <strong>Menschen</strong> selbst – <strong>das</strong> fügt sich gut und<br />
nahtlos in diese Perspektive ein. Der Mensch wird, wenn er seine Wirtschaftsordnung rationalisiert,<br />
d. h. mit Bewusstsein erfüllt und seinem Vorhaben unterworfen hat, in seinem gegenwärtigen<br />
trägen und durch und durch verfaulten häuslichen Alltag keinen Stein auf dem anderen lassen. Die<br />
zentnerschwer auf der heutigen Familie lastenden Sorgen um die Ernährung und Erziehung<br />
werden von ihr genommen und Gegenstand der öffentlichen Initiative und des unerschöpflichen<br />
kollektiven Schaffens werden. Die Frau wird endlich aus dem Zustand der Halbsklaverei befreit<br />
werden. Neben der Technik wird die Pädagogik – im breitesten Sinn der psychophysischen<br />
Formung neuer Generationen – zur Beherrscherin der öffentlichen Meinung werden. Die<br />
pädagogischen Systeme werden mächtige „Parteien“ um sich scharen. Die sozialerzieherischen<br />
Experimente und der Wettbewerb verschiedener Methoden werden eine Entfaltung erfahren, von<br />
der man heute noch nicht einmal träumen kann. Die kommunistische Daseinsform wird nicht wie<br />
ein Korallenriff zufällig entstehen, sondern bewusst aufgebaut, durch die Idee überprüft,<br />
ausgerichtet und korrigiert werden. Wenn <strong>das</strong> Dasein aufhört, eine Elementargewalt zu sein, wird<br />
es aufhören schal zu sein. Der Mensch, der es gelernt hat, Flüsse und Berge zu versetzen und<br />
Volkspaläste auf den Gipfel des Montblanc oder auf dem Meeresgrund des atlantischen Ozeans zu<br />
bauen, wird seinem Alltag natürlich nicht nur Reichtum, Farbigkeit und Spannung verleihen,<br />
sondern auch höchste Dynamik. Die Hülle des Alltags wird – kaum entstanden – unter dem<br />
Ansturm neuer technischer und kultureller Erfindungen und Errungenschaften wieder gesprengt<br />
werden.“<br />
„Der Mensch wird endlich daran gehen, sich selbst zu harmonisieren. Er wird es sich zur Aufgabe<br />
machen, der Bewegung seiner eigenen Organe – bei der Arbeit, beim Gehen oder im Spiel –<br />
höchste Klarheit, Zweckmässigkeit, Wirtschaftlichkeit und damit Schönheit zu verleihen. Er wird<br />
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