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Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

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Kontakt mit Walther Rathenau und zog in Weimar um <strong>das</strong> Nietzsche-Archiv der Elisabeth<br />

Förster-Nietzsche die Fäden eines Spinnennetzes, in dem sich der junge Großherzog<br />

verfing, um mehr Geld für die Reformexperimente auszugeben und zum Schirmherrn einer<br />

Narrenmonarchie zu werden, die gegen <strong>das</strong> kulturell konservative Berlin opponierte. Graf<br />

Kessler hatte als Mitinitiator des „Pan“ seit 1895 zunächst für die Verbreitung des Jugendstils<br />

gesorgt, bereits vor 1905 machte er jedoch Schluß mit dem nietzscheanischen<br />

Alleinvertretungsanspruch des Jugendstils. Rodin und die Neoimpressionisten erschienen<br />

ihm noch mehr lichte Kraft der Erneuerung zu versprühen. Während er dem<br />

Jugendstilarchitekten van de Velde zu größeren Aufträgen verhalf, so vermittelte er im<br />

gleichen Atemzuge Auftragsarbeiten für Munch. Und Munch übersetzte <strong>das</strong> Werk Nietzsches<br />

ganz anders in die Pinsel- und Farbensprache der Malerei, er suchte ganz andere<br />

Ausdrucksmittel und er fand sie. Seine Bilder waren expressiv, aber nicht monumental, er<br />

malte keine Riesen, keine Giganten und keine Nackten, keine mythologischen Schinken,<br />

elitaristisch waren seine Porträts von Nietzsche und Kessler auf andere Art. Roland März<br />

beschreibt den porträtierten Kessler als einen „Mann, der sein Gegenüber fest im Blick hat,<br />

unausweichlich fixiert, hochgestellt durch den hohen weißen Kragen. Preußischer Offizier<br />

des Ulanen-Regiments in Potsdam, hier in Zivil, der den Herrenreiter nicht<br />

verleugnet...Kessler gebietet äußerste Distanz und Unnahbarkeit der Person.“ Nietzsche<br />

stellte er als Heiligen mit einer entsprechenden Lichterscheinung in Kopfhöhe dar, die sich auf<br />

dem Gesicht wiederspiegelte. 76 Der rot-gelbe Himmel wurde in der Folgezeit viel wiederverwendet.<br />

Detlev von Liliencron über Nietzsche: „Es ist selbstverständlich, <strong>das</strong>s die guten Bier- und<br />

Skatdeutschen ihn nicht kennen. Es ist empörend.“<br />

Mit der Gründung des Künstlerbundes 1903 erreichte der Einfluß von Graf Kessler den Höhepunkt.<br />

Hagen, Tuaillon, Schultze-Naumburg, v. Bochmann, Trübner, Klinger, Marr, v. Stuck, Lichtwark, Olde,<br />

Graf Kalckreuth, Liebermann, Corinth, van de Velde, Freiherr von Bodenhausen, Lepsius, Herrmann,<br />

Klimsch und Slevogt gehörten zu den Gründungsmitgliedern einer aristokratischen<br />

Künstlergenossenschaft, die gegen <strong>das</strong> kaiserliche Verdikt gegen die neuen Ausdrucksformen<br />

opponierte. Weimar wurde von Berlin aus beobachtet, und soweit es ging, unter kunstpolitische<br />

Quarantäne gestellt. Am Weimarer Hof formierten sich besonnene Leute, die den Dissenz mit Berlin<br />

nicht bis auf die politische Spitze treiben wollten und Kessler 1906 ausbremsten. Nach einem für<br />

Kessler unerfreulichen Diskurs anlässlich der zweiten Rodin-Ausstellung musste er seine Rolle im<br />

Weimarer Kunstbetrieb aufgeben. Fortan war er ein kunstsammelnder Privatier, der lediglich einmal<br />

nach dem Weltkrieg einen kurzen Ausflug in die Diplomatie als deutscher Botschafter in Warschau<br />

machte. Anläßlich der Diskussion der Entwürfe für einen Nietzsche-Tempel hielt er im September<br />

1911 in seinem Tagebuch fest:<br />

„wenn wir mehr Geld haben oder verdienen, will ich anschließend an <strong>das</strong> Nietzschedenkmal ein<br />

Institut für Genetics, Rassenveredelung schaffen.“ 77<br />

Der Niedergang des politischen Liberalismus<br />

Von 1848 bis etwa 1907 war der politische Liberalismus, vor allem auf seinem sogenannten linken<br />

Flügel ein harmloser Stachel im Fleische des Obrigkeitsstaates. Die Prinzipien der parlamentarischen<br />

Volksvertretung und der Marktwirtschaft, eines wirtschaftlichen laisses fair wurden mehr oder weniger<br />

vehement gehütet. Nach der Reichseinigung 1870 spaltete sich der Liberalismus in einen<br />

Nationalliberalen überwiegend staatstragenden und einen linken mehr regierungskritischen Flügel.<br />

Interessanterweise war der linke Flügel der marktwirtschaftliche<br />

Die Hauptthemen der Nationalliberalen waren die Rechtsvereinheitlichung, der Kampf gegen den<br />

katholischen Einfluß auf die Schulpolitik, die Aufrüstung, eine antipolnische Politik in den Ostprovinzen<br />

und eine zielbewußte Kolonialpolitik. Der größte Erfolg der Partei war <strong>das</strong> Zustandekommen des<br />

Bürgerlichen Gesetzbuchs im Jahr 1900. Zerstritten waren die Nationalliberalen bezeichnenderweise<br />

in wirtschaftspolitischen Fragen. Besonders um 1880 bekriegten sich Schutzzöllner und Freihändler. 78<br />

76 Roland März: Porträt eines Weltmanns in Aufstieg und Fall der Moderne, Hatje Cantz, S. 182 ff.<br />

77 Aufstieg und Fall der Moderne, Ausstellungskatalog Hatje Canz Verlag, S. 57<br />

78 s.o. S. 112 ff<br />

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