Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik
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Produktionsmittel auszuschalten, entspricht uns vielmehr als der durch den freien Wettbewerb<br />
geschürte Kampf aller gegen alle...“ 232<br />
Im Zweifel für die Tradition<br />
Am 9. Januar 1919 veröffentlichte die Reichsleitung um Friedrich Ebert im Reichsanzeiger folgenden<br />
Aufruf:<br />
“Spartakus kämpft jetzt um die ganze Macht. Die Regierung, die binnen 10 Tagen die freie<br />
Entscheidung des Volkes über sein eigenes Schicksal herbeiführen will, soll mit Gewalt gestürzt<br />
werden. Das Volk soll nicht sprechen dürfen. Seine Stimme soll unterdrückt werden. Die Erfolge<br />
habt Ihr gesehen. Wo Spartakus herrscht, ist jede persönliche Freiheit und Sicherheit aufgehoben:<br />
Die Presse ist unterdrückt, der Verkehr lahmgelegt. Teile Berlins sind die Stätte blutiger Kämpfe.<br />
Andere sind schon ohne Wasser und Licht. Proviantämter werden gestürmt, die Ernährung der<br />
Soldaten- und Zivilbevölkerung wird unterbunden. Die Regierung trifft alle notwendigen<br />
Maßnahmen, um diese Schreckensherrschaft zu zertrümmern und ihre Wiederkehr ein für allemal<br />
zu verhindern. Entscheidende Handlungen werden nicht mehr lange auf sich warten lassen. Es<br />
muss aber gründliche Arbeit getan werden, und die bedarf der Vorbereitung. Habt nur noch kurze<br />
Zeit Geduld! Seid zuversichtlich, wie wir es sind, und nehmt Euren Platz entschlossen bei denen,<br />
die Euch Freiheit und Ordnung bringen werden. Gewalt kann nur mit Gewalt. bekämpft werden. Die<br />
organisierte Gewalt des Volkes wird der Unterdrückung und der Anarchie in Ende machen.<br />
Einzelerfolge der Feinde der Freiheit, die von ihnen in lächerlicher Weise aufgebauscht werden,<br />
sind nur von vorübergehender Bedeutung. Die Stunde der Abrechnung naht!“<br />
Einen Tag vor der Wahl zur Nationalversammlung replizierte Rosa Luxemburg in der "Roten Fahne:<br />
"Der Bürgerkrieg, den man aus der Revolution mit ängstlicher Sorge zu verbannen sucht, läßt sich<br />
nicht verbannen. Denn Bürgerkrieg ist nur ein anderer Name für Klassenkampf, und der Gedanke,<br />
den Sozialismus ohne Klassenkampf durch parlamentarische Mehrheitsbeschlüsse einführen zu<br />
können, ist eine lächerliche kleinbürgerliche Illusion."<br />
Sie wich von ihrer esoterischen Überzeugung ab, vertrat letztlich die Linie ihrer innerparteilichen<br />
Gegner Liebknecht und Radek und begründete den Aufstand mit den Argumenten, daß die deutsche<br />
bürgerliche Gesellschaft eine reißende Bestie sei, ein Hexensabbat der Anarchie und ein Pesthauch<br />
für Kultur und Menschheit. Falls sie damit die Kriegsliteraten gemeint haben sollte, so hätte sie<br />
natürlich recht gehabt. Sie meinte jedoch eher <strong>das</strong> kapitalistische System, <strong>das</strong> es in Deutschland nicht<br />
mehr gab, welches also eine Einbildung der Expressionisten und Rosa Luxemburgs war. Mit der<br />
Abneigung gegen eine freiheitliche und parlamentarische Ordnung hütete sie dieselben<br />
Ressentiments, aus denen die Kriegstreiber ihre Zerstörungskräfte bezogen, nämlich die<br />
nietzscheanische Überzeugung vom Vorrang des Krieges vor der Politik, den Kult der Tat und der<br />
Aktion, seine Abneigung gegen die Demokratie und die mit ihr verbundenen Parteien. Die lächerlichen<br />
Kleinbürger blieben vorerst bei ihren parlamentarischen Illusionen und während die Wahl zur<br />
Nationalversammlung am 19.01.1919 stattfand wurde der von Liebknecht befohlene spartakistische<br />
Aufstand durch Freikorps und republikanische Kampftruppen niedergeschlagen.<br />
Einen Tag vor der Wahl zur Nationalversammlung hatte die Pariser Friedenskonferenz unter<br />
Ausschluß Deutschlands begonnen. Die Friedensbedingungen waren gerade in Arbeit. Spätere<br />
Abtretungsgebiete wie <strong>das</strong> Saarland, Westpreußen, Schleswig und Oberschlesien wählten deshalb<br />
noch mit.<br />
Die Wahl vom Januar 1919 zeigte gegenüber der letzten Reichstagswahl vor dem Weltkrieg im Jahr<br />
1912 eine Tendenz zur Stärkung der Parteien, die 1917 die Friedensresolution in den Reichstag<br />
eingebracht hatten. Die SPD hatte sich in Ökonomisten und Reformisten gespalten, die Konservativen<br />
waren nach dem Rücktritt des Kaisers noch geschwächt und demoralisiert, die Deutsche<br />
Demokratische Partei hatte sich im wesentlichen aus Mitgliedern der Fortschrittlichen Volkspartei neu<br />
gegründet, sonst hatte sich wenig geändert. Durch die Abtretung von Elsaß-Lothringen und Gebieten<br />
in Ostelbien spielten die polnischen, dänischen und französischen Minderheiten keine große Rolle als<br />
Wähler mehr und Deutschland war etwas protestantischer geworden.<br />
232 Reichstagsdebatte vom 5.3.1908, zitiert im Discussion Paper 04/10 des Max-Planck-Instituts für<br />
Gesellschaftsforschung<br />
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