Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik
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nach. Wenn er gelegentlich zum Pinsel griff, waren nach wie vor der kleine Mann und die kleine Frau<br />
<strong>das</strong> Thema.<br />
So wie die Republik politisch auf Leitbildern einer seligen Vergangenheit beruhte, so auch Zilles Kunst<br />
der zwanziger Jahre.<br />
Kulturelle und politische Entwicklungen während der relativen Stabilisierung 1924-1928<br />
„Glück ist auf Erden eitel. Lust hat Grenzen, die du kennen musst“, hatte bereits Bernard Mandeville<br />
gewusst. Das traf auf die ausufernde teutonische Kulturszene zwischen 1900 und 1918 auch zu.<br />
Expressionismus, Futurismus, Aktionismus wetteiferten um die Spitze der Avantgarde. Heinrich Mann,<br />
Thomas Mann, Hermann Hesse, Heinrich Zille, die Brücke-Maler, der Blaue Reiter und viele andere<br />
waren überaus produktiv. Viele Höhepunkte, Treffen und Vernissagen sind durch Photos belegt. Mit<br />
dem Anbruch der Weimarer Republik verlor dieser aufs äußerste angeschwollene künstlerische Strom<br />
seine Substanz; dünne Rinnsale endeten in Himmelsteichen. Das Bauhaus, Ernst Jünger und <strong>das</strong><br />
epische Theater sind solche Rinnsale. Viele Schriftsteller, Maler und Dichter schienen zu bocken.<br />
Einige Künstler fingen erst wieder an, zu schreiben und zu malern, als Adolf Hitler die Macht<br />
übernommen hatte. Das trifft gerade auf jene zu, die emigriert waren. Die Brücke-Maler malten in den<br />
Zwanzigern kaum noch, obwohl sie im besten Lebensalter waren. Heinrich Mann ruhte sich in den<br />
Zwanzigern aus; Hesse war vor und nach der Republik wesentlich produktiver. Der Photoapparat<br />
wurde nur selten herausgeholt, sehr wenige gesellschaftliche und persönliche Ereignisse sind durch<br />
Photos dokumentiert. Es scheint, als sei diese Zurückhaltung ein "Protest gegen den gegenwärtigen<br />
Saustall" (Th. Mann) gewesen. Fast nichts scheint wichtig genommen worden zu sein. Es gab keine<br />
dokumentierten Haupt- und Staatsereignisse. Das poltische Leben ist so wenig dokumentiert, daß der<br />
Verdacht aufkommt, die Akteure hätten sich ihrer Rolle geschämt. Tatsächlich war die<br />
parlamentarische Republik nach der jugendbewegten Vorkriegsphase des Sturms und Dranges im<br />
intellektuellen Verständnis ein Anachronismus.<br />
Die Jahre zwischen 1924 und 1929 werden dennoch als goldene Jahre bezeichnet. Um diese<br />
Wertung zu teilen, ist es einerseits erforderlich, <strong>das</strong> politische, kulturelle und wirtschaftliche<br />
Anspruchsniveau etwas herunterzuschrauben. Es handelte sich natürlich nicht um eine Periode der<br />
Vollbeschäftigung, nicht um eine Abkehr von den Doktrinen des <strong>Neue</strong>n <strong>Menschen</strong> und nicht um einen<br />
Zeitabschnitt mit stabiler Regierung. Die Avantgarde wurde durch <strong>das</strong> Bauhaus, die <strong>Neue</strong> Sachlichkeit<br />
und Brechts episches Theater besetzt. Das war für 14 Jahre nicht sehr viel. Der breite Strom der<br />
Alltagskultur ergoß sich als abgestandener Expressionismus, gestreckter Jugendstil und verlängerter<br />
Heimatstil in die gesellschaftliche Wahrnehmung. Die Mitte der zwanziger Jahre kann nicht nur durch<br />
die Abwesenheit von Inflation und Bürgerkrieg, Wirtschaftskrise und Nationalsozialismus, also rein<br />
negativ beschrieben und definiert werden. Am Ende der 20er und am Anfang der 30er Jahre begann<br />
der Aufstieg der Massenkultur. Die Auftritte von Duke Ellington mit den Chocolate Kiddies 1924 und<br />
von Josephine Baker mit ihrer Charleston Jazzband 1927 brachten tatsächlich einen Gegensatz zum<br />
völkischen und deutsch-tiefgründigen Einerlei. Charleston und Jazz hielten Einzug in die muffigen<br />
deutschen Großstädte. Es waren bezeichnenderweise keine deutschen Kreationen.<br />
Schneid´ dir ab den alten Zopf - schneid´ dir einen Bubikopf“ Heinrich Mann schrieb: „Kurze Haare<br />
durften nicht ausbleiben, nachdem die Figur der Dame knabenhaft geworden war. Hiervon abgesehen<br />
lässt es sich damit besser sowohl tanzen und Sport treiben wie auch in Fabriken arbeiten.“ Mann<br />
stellte die Rolle der Frau gleich prinzipiell in Frage – wiederum typisch deutsch.<br />
Tanzlokale und Kinos schossen allerdings wie Pilze aus dem Boden. Der Sport wurde zu einem<br />
Massenvergnügen. Hunderttausende zog es zu Fußballspielen in die Stadien, Max Schmeling<br />
begeisterte ein Millionenpublikum an den Rundfunkgeräten. Von 1923 bis 1933 stieg die Zahl der<br />
Radios von 10.000 auf 5,4 Millionen. Der Schlager begann seinen Siegeszug.<br />
In den großen Betrieben hielt <strong>das</strong> Fließband seinen Einzug, die Taylorisierung der Arbeit, die<br />
Zerstückelung der Arbeitsgänge war auf ihrem Höhepunkt, was zunächst die Produktivität der Arbeit<br />
steigerte.<br />
Nun hätte man vermuten können, <strong>das</strong>s mit Jazz, Taylorismus und amerikanischen Krediten ein neuer<br />
internationaler Wind wehte. Dieser Wind blies jedoch nur durch Josephine Bakers Bananenröckchen,<br />
in der Provinz kam nur ein Lüftchen davon an. Während in einer durchaus begrenzten Zahl von<br />
Lokalitäten der Charleston herrschte, ging die Kulturrevolution sowohl in Berlin wie in der Provinz ihren<br />
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