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Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

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Parteien und Interessengruppen herumtanzen, und <strong>das</strong> taten sie auch, nicht ohne dabei ihr Ansehen<br />

zu ruinieren.<br />

Konsequenterweise erwähnt die Weimarer Verfassung die Parteien nur in zwei Paragraphen:<br />

Abgeordnete und Beamte seien nicht an Weisungen ihrer Parteien gebunden (§§ 21 und 130). Die<br />

Parteien als Körperschaften wurden in der Verfassung nicht erwähnt, um dieses hehre Werk nicht zu<br />

beschmutzen. Daraus folgend war auch die Parteienfinanzierung nicht geregelt. Die Parteien mußten<br />

sich die Mittel über die Diäten ihrer Abgeordneten oder über Parteispenden besorgen, was ihre<br />

Abhängigkeit von Berufsständen, Berufsverbänden und ständischen Sponsoren wiederum verstärkte.<br />

Die Parteien fungierten so als halbillegitime Schmuddelkinder des Parlamentarismus. Die reine,<br />

unverdorbene Staatsräson war <strong>das</strong> Gemeinwohl, die Parteien waren der Ort oder besser der Hort des<br />

zwielichtigen Eigennutzes, der Durchstecherei sowie der eng begrenzten Lokal- und<br />

Standesinteressen. Die sauberen abstrakten Staatsinteressen gingen von Anfang an vor die<br />

Akzeptanz von Gruppeninteressen: Gemeinnutz geht vor Eigennutz stand auf den Silbermünzen.<br />

Bereits kurz nach dem Zusammentritt der Nationalversammlung, im Mai 1919 gründete der spätere<br />

DNVP-Parlamentarier Eduard Stadtler die „Vereinigung für parteifreie Politik“. In einem<br />

„Aktionsprogramm zur Überwindung der Anarchie in Deutschland“ forderte Stadtler „die Diktatur eines<br />

parteifreien, starken Mannes, welcher mit einem Ministerium von starken, parteifreien Politikern den<br />

Zusammenschluß der Parteien in der Nationalversammlung erzwingen würde, und auf Grund des<br />

politischen Machtwillens der in Ständen, Erwerbsgruppen und Kulturorganisationen gegliederten<br />

Volksgemeinschaft im Namen der Ideen der sozialen Weltrevolution ... mit einem großzügigen,<br />

parteifreien sozialistischen Reformprogramm die Anarchie ... rücksichtslos niederhielte.“ Der<br />

Rätegedanke müsse in der Wirtschaft verankert werden, Boden und Bodenschätze sollten<br />

verstaatlicht werden, nötigenfalls auch Villen und leerstehende Wohnungen beschlagnahmt werden. 176<br />

Tatsächlich traten der Vereinigung einige Hinterbänkler bei: Adolf Grabowsky von der DDP, Otto<br />

Hoetzsch von der DNVP und Max Cohen-Reuß von der SPD.<br />

Diese Sucht, „keine Parteien mehr zu kennen“, diese preußisch-deutsche Betrachtungsweise der<br />

Parteien sollte Adolf Hitler sein Werk der Verächtlichmachung der Parteien und des Parlamentarismus<br />

erleichtern. Letztlich hatten die Verfassungsväter von SPD, DDP und Zentrum ein mit Selbstzweifeln<br />

versetztes und unselbstbewußtes Parteienbild, <strong>das</strong> die NSDAP nützte. Die Parteien waren bereits<br />

verächtlich, bevor Adolf Hitler die erste Verwünschung, den ersten Fluch und die erste Anschuldigung<br />

aussprach. Im Programm der NSDAP hieß es:<br />

"Wir bekämpfen die korrumpierende Parlamentswirtschaft einer Stellenbesetzung nur nach<br />

Parteigesichtspunkten ohne Rücksicht auf Charakter und Fähigkeiten."<br />

Nur als Beispiel für die Gebrechen des Weimarer Parteiwesens wird aus der Berichterstattung der<br />

Allgemeinen Thüringischen Landeszeitung vom 8. Februar 1928 über die "Notkundgebung der<br />

Thüringer Landwirte" zitiert. Die Kundgebung hätte so wie sie stattfand überall in Deutschland<br />

stattfinden können, und sie fand auch überall statt, bezeichnenderweise nicht in der<br />

Weltwirtschaftskrise, sondern vorher, mitten in der relativen Stabilisierung der Republik.<br />

"Als dann Landbundführer Höfer zu sprechen begann, spürte man die innere Gespanntheit. Er<br />

sprach in seiner volkstümlichen Deutlichkeit, baute aus den Forderungen, die <strong>das</strong> deutsche<br />

Bauerntum in den letzten Wochen immer entschlossener und vordringlicher hat laut werden lassen,<br />

einen Notruf, dessen unerbittliche Schärfe seinen Eindruck nicht verfehlte. Er zeigte, wie einer<br />

durch den Zusammenbruch bedingten Zwangswirtschaft die Zwangsbewirtschaftung der deutschen<br />

Gesinnung durch Parteidiktat gefolgt sei, und wie ein unfähiger Parlamentarismus die Schuld trage<br />

an der jetzt drohenden katastrophalen Zwangswirtschaft des bäuerlichen Grundvermögens....Dann<br />

kam der große Augenblick des Tages. Höfer formulierte noch einmal kurz die Forderungen, die der<br />

Reichslandbund vertritt und die sich der Thüringer Landbund in fester Gefolgstreue völlig zu eigen<br />

gemacht hat. Dann entblößten sich 35 000 Häupter, 35 000 Schwurfinger reckten sich zum<br />

Himmel. Sie schworen: Treue den Führern! Treue der Scholle! Treue dem Vaterland!"<br />

Die Zeitung vermerkt am Schluß des Artikels, daß die Nationalsozialisten beim Versuch einer<br />

Gegendemonstration nach heftigem Wortgefecht von den Landbündlern aus dem Saal getrieben<br />

wurden. "Dabei ging es nicht immer parlamentarisch zu."<br />

176 zitiert in Gerd Koenen: Der Russland-Komplec, C.H.Beck, S. 250f.<br />

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