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Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

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zersplitterten Deutschland nicht gefährlich. Was beispielsweise die Schweizer Kantone dachten und<br />

machten, war für den Lauf der Welt egal, für <strong>das</strong> vereinigte Deutschland traf <strong>das</strong> nicht mehr zu. Es war<br />

mächtig und erwartete, daß an seinem romantischen Wesen die Welt genesen solle.<br />

August Bebel charakterisierte <strong>das</strong> wirtschaftswissenschaftliche Personal zutreffend:<br />

„Es waren nicht Fabrikanten, Kaufleute, Handels- und Finanzmänner, die <strong>das</strong> große Wort führten,<br />

sondern vorzugsweise liberalisierende Standesherren, Professoren, Schriftsteller, Juristen und<br />

Doktoren aller Fakultäten.“<br />

Die einfußreichsten Wirtschaftsprofessoren der auf die <strong>Romantik</strong>er folgenden Generation der<br />

Historischen Schule waren Adolf Wagner (1835-1917), Gustav von Schmoller (1838-1917) und Ludwig<br />

Joseph Brentano (1844-1931). Wagner und Schmoller waren etwas theoriefeindlicher und<br />

etatistischer, Brentano etwas theoriefreundlicher und liberaler; was sie jedoch wieder vereinte war die<br />

Mitgliedschaft im 1872 gegründeten "Verein für Socialpolitik". Wagner war Verfechter der<br />

Verstaatlichung von Eisenbahnen, Versorgungsunternehmen und Banken und der Umverteilung der<br />

Einkommen über Steuern. Schmoller forderte die Gleichberechtigung der Arbeiter als Staatsbürger,<br />

bei Hebung ihrer geistigen und technischen Bildung, Brentano wollte die Gewerkschaften mit<br />

Staatshilfe fördern.<br />

Die sozialpolitischen Ansätze des kathedersozialistischen Trios waren durchaus erfolgreich, insofern<br />

als sie nur eineinhalb Jahrzehnte später von Bismarck als Sozialgesetze über die Rente und die<br />

Krankenversicherung umgesetzt wurden. Diese Sozialgesetze waren insofern bahnbrechend, als sie<br />

später auch in Ländern mit modernen ökonomischen Paradigmen mit Erfolg eingeführt worden sind,<br />

und beispielsweise liberalistische Systeme stabilisiert und auf Dauer lebensfähig gemacht haben.<br />

Die staatssozialistischen Ansätze, soweit sie nicht die Sozialpolitik betrafen, wurden leider ebenfalls<br />

realisiert, und teilweise noch schneller und radikaler, als die sozialpolitischen. In den siebziger und<br />

achtziger Jahren kaufte der preußische Staat die Eisenbahnen auf und hatte damit den<br />

Wirtschaftszweig, der den Fortschritt des 19. Jahrhunderts verkörperte, unter seine Kontrolle gebracht.<br />

In Süddeutschland waren die Bahnen ohnehin von Anfang an staatlich gewesen. Auch der nächste<br />

Wachstumsbereich, die an der Jahrhundertwende expandierende Energie- und Wasserwirtschaft<br />

sollte von Anfang an unter starkem kommunalen und staatlichen Druck stehen. Der Staat legte seine<br />

Hand auf die damaligen Zukunftstechnologien, er verfügte über die Schlüssel zum technischen<br />

Fortschritt. Er verfügte damit auch über die Aura des Machers. Diese planwirtschaftliche Praxis wurde<br />

von der Wirtschaftswissenschaft auf der einen Seite historisch begründet, auf der anderen Seite durch<br />

Politikberatung verstärkt.<br />

Wir wissen aus allen planwirtschaftlichen Experimenten, sei es die russisch-othodoxe Variante, sei es<br />

die südamerikanisch-gewerkschaftliche, die afrikanisch-genossenschaftliche, die italienischfaschistische<br />

oder die deutsch-nationalsozialistische, daß sie zu Anfang funktionierten. Ihre Bahn ist<br />

wie die eines Wurfgeschosses: zuerst durch einen starken Impuls aufwärts beschleunigt, im Zenit<br />

durch Gewicht und Erdanziehung immer langsamer werdend und zum Schluß durch Eigengewicht<br />

belastet und durch die Gravitation angetrieben mit hoher Geschwindigkeit auf dem harten Boden der<br />

Realität aufschlagend.<br />

Der Impuls aus den staatswirtschaftlichen Antrieben des deutschen Wirtschaftssystems zur<br />

Jahrhundertwende war stark, die Eisenbahn spülte Rekordgewinne in den preußischen Haushalt und<br />

die Elektrifizierung konnte mit staatlicher Unterstützung bei der Entwicklung der Leitungsrechte rasch<br />

vorangetrieben werden. Schon im Ersten Weltkrieg zeigte sich jedoch die Innovationsschwäche des<br />

deutschen Systems: Am Kriegsende waren die Engländer mit ihren Tanks technisch weiter und<br />

überrannten die Westfront. In den zwanziger Jahren waren die planwirtschaftlichen Antriebe eigentlich<br />

aufge<strong>braucht</strong>. Trotzdem wurde <strong>das</strong> kaiserliche System nicht als monarchischer Ballast über den<br />

republikanischen Bord geworfen. Nach einer sehr kurzzeitigen stark kreditfinanzierten Scheinblüte in<br />

den Dreißigern zeigte sich im Zweiten Weltkrieg wieder die alte Innovationsschwäche, sei es beim<br />

Radar, beim Düsenflugzeug oder der Atomtechnologie: die alliierten Igel riefen dem deutschen Hasen,<br />

der sich zwischen Ost-, Nord-, Süd- und Westfront totlief zu: "Ich bin schon da". Eine Planwirtschaft ist<br />

dort überlegen, wo nach der Tonnenideologie produziert wird, die Marktwirtschaft ist erfinderischer.<br />

Nach dem Zweiten Weltkrieg löste sich die deutsche Wirtschaftswissenschaft in dem Maße von der<br />

Historischen Schule, wie sich die Wirtschaftspraxis modernisierte.<br />

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