Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik
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zweitens die doppelt bedrohte demokratische Staatsform erhalten, und sie will drittens die aus dem<br />
demokratischen Staatsgeist sich ergebende Außenpolitik der Verständigung und des Friedens<br />
verteidigen. In diesen Bestrebungen und Willensmeinungen erschöpft sich heute in praxi der<br />
Marxismus der deutschen Sozialdemokratie.“<br />
So habe<br />
„die Sozialdemokratie <strong>das</strong> Reich gerettet (...) als es mit uns zum Letzten gekommen war, als die<br />
Zügel der Herrschaft und Selbstbeherrschung im blutigen Kote schleiften und niemand da war, sie<br />
zu ergreifen, sie hat diese herrenlosen Zügel aufgenommen, die tragische und namenlos<br />
undankbare Verantwortung für die Bereinigung des Krieges getragen und <strong>das</strong> Chaos, in dem ein<br />
geschichtlich geschlagenes und flüchtiges System <strong>das</strong> Land zurückgelassen hatte, in eine<br />
notdürftige Ordnung überführt“.<br />
Thomas Mann hatte insofern Recht, als es außer der Sozialdemokratie und dem Zentrum 1930 keine<br />
weiteren demokratischen Kräfte gab, an die man sich anlehnen konnte. Aber die Schwäche dieser<br />
beiden demokratischen Kräfte war ihre dominierende Eigenschaft. Die SPD befand sich in der<br />
Verteidigung und nicht im Angriff. Die ersten deutschen Intellektuellen begannen erst um 1930 wieder<br />
über demokratische Perspektiven nachzudenken. Die Altelitaristen Thomas Mann und Alfred Paquet<br />
gehörten beispielsweise dazu, die große Masse der deutschen Kulturmuftis predigte aber immer noch<br />
die bevorstehende Zeitenwende. Im Beethovensaal hatten sich drei Repräsentanten dieser großen<br />
Masse eingefunden: Arnolt Bronnen, Ernst Jünger und Friedrich Georg Jünger störten Mann´s Rede<br />
durch Zwischenrufe nach Kräften und Thomas Mann musste den Saal schließlich durch die Hintertür<br />
verlassen.<br />
Alfred Paquet, der sich die ganzen Gründerjahre der Weimarer Republik für die elitaristische<br />
Gewaltherrschaft engagiert hatte, kam kurz vor Thomas Mann, nämlich bereits 1927 ins<br />
demokratische Schleudern. Er wollte zum humanistischen und liberalen Westen zurückfinden, der<br />
nach einem letzten vertieften Ausdruck der alten Freiheitsideen verlange. 384 Bei solchen, wenn auch<br />
seltenen Äußerungen müssen in Hitlers und Stalins Terrorzentralen die Alarmglocken geläutet haben.<br />
Eines hatte Thomas Mann genausowenig wie die SPD im Programm: Daß eine marktwirtschaftliche<br />
Fundamentierung der Demokratie überfällig wäre. Solch eine Überzeugung wäre endlich ein<br />
erkennbares Kontrastprogramm zu KPD und NSDAP gewesen, aber für so ein Kontrastprogramm<br />
waren weder die SPD noch Thomas Mann gemacht worden. Von Oktober 1930 bis Januar 1933 war<br />
die Entwicklungszeit für demokratische Überzeugungen einfach zu kurz. Weder die SPD noch<br />
Thomas Mann konnten Adolf Hitler aufhalten.<br />
Matthäus Kapitel 13, Vers 15 beschreibt bereits eine ähnliche verfahrene Situation: „Denn dieses<br />
Volkes Herz ist verstockt, und ihre Ohren hören übel, und ihre Augen schlummern, auf <strong>das</strong>s sie nicht<br />
dermaleinst mit den Augen sehen und mit den Ohren hören und mit dem Herzen verstehen und sich<br />
bekehren, <strong>das</strong>s ich Ihnen hülfe.“<br />
Vom Jugendlichen zum Berufsjugendlichen<br />
Seit Mitte der zwanziger Jahre hatte sich im Jugendherbergsmilieu der sogenannte Leuchtenburgkreis<br />
gebildet. Er spiegelte wie andere bündische Abteilungen ein biologisches Phänomen wieder, nämlich<br />
<strong>das</strong>s alle Jugendlichen älter wurden, <strong>das</strong>s einige aber dennoch heftig weiter pubertierten und forever<br />
joung blieben. Die jüngsten Mitglieder dieses Kreises waren 1931 20 Jahre alt, <strong>das</strong> älteste Semester<br />
war mittlerweise 49, im Durchschnitt waren die Damen und Herren um die 30.<br />
Die meisten Mitglieder waren Lehrer. Im Oktober 1931 wurde ein technisches Treffen durchgeführt,<br />
mit Diskussionen zur Kultur- und Staatskrise.<br />
Tagungsplan<br />
Technisches zum Treffen (1931)<br />
Z e i t : 9.-11. Oktober<br />
O r t : Leuchtenburg bei Kahla, Jugendherberge<br />
B a h n s t a t i o n : Kahla (Thür.), Strecke Naumburg-Saalfeld<br />
384 Gerd Koenen, Der Russland-Komplex, München 2005, S. 371<br />
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