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Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

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Neuzeit, die denen der expressionistischen und nietzschanischen Kulturrevolution in nichts<br />

nachstehen. Bei der angemessenen Replik darauf steht Deutschland ganz am Anfang. Wenn die<br />

Moral ungebremst zu Tale fährt, sollte man Deutschland rechtzeitig den Rücken kehren und <strong>das</strong> Geld<br />

vorher in die Schweiz transferieren.<br />

Das Kaiserreich und die Weimarer Republik führen vor Augen, <strong>das</strong>s Bildung und Kultur nicht<br />

automatisch Werkzeuge der politischen Aufklärung und nicht unbedingt Motoren der gesellschaftlichen<br />

Deeskalation sind. Die Parole „bunte Vielfalt gegen braune Einfalt“ funktioniert schon deshalb nicht,<br />

sie ist geradezu unhistorisch, weil die nationalsozialistische Ideologie aus einer bunten Vielfalt<br />

hervorgegangen ist. Ein gesundes Misstrauen in die gesellschaftliche Heilwirkung der Kultur ist gerade<br />

deshalb erforderlich, da der Nationalsozialismus seine Kraft aus einer Kulturrevolution erlangte.<br />

Die Schnittstelle, welche sich die deutschen Idealisten zwischen der ökonomischen und kulturellen<br />

Welt zusammengebastelt haben, ist der Vulgärmaterialismus, jene Versimplifizierung der<br />

marxistischen Theorie, welche die Welt mit der Lohnquote erklären will.<br />

Lohnpolitische Durststrecken wie der erste Weltkrieg und die Weltwirtschaftskrise sowie der<br />

metaphysische Begriff des Nationalismus werden landläufig in der Ursachenbetrachtung für den<br />

Aufstieg Hitlers eher überbewertet, langfristige wirkende Ursachen wie die kriegswirtschaftlichen<br />

Wirtschafts- und Gesellschaftsstrukturen und die dadurch gestützte spätromantische Ideologie werden<br />

als Ursachen eher mit zu wenig Gewicht angesetzt.<br />

Der Kampf gegen den Nationalsozialismus wird in Deutschland nicht mit der Vertiefung der<br />

Marktwirtschaft geführt, auch nicht mit einer Ächtung kultureller Fehlentwicklungen, sondern typisch<br />

deutsch mit Lichterketten, Theaterprojekten, Malnachmittagen, esoterischem Trommeln,<br />

Jugendcirkus, Fanprojekten und Gegendemonstrationen. Der "Antifaschismus" zieht sich in<br />

altdeutscher Tradition in den wolkigen Raum der idealistischen Ideologie zurück und bereitet die<br />

planwirtschaftliche Basis für die Übernahme durch die Nationalsozialisten vor.<br />

Die Betrachtung der Folgen des Nationalsozialismus wird der Betrachtung seiner Entstehung<br />

wissentlich und überlegt, als auch unwissentlich und gefühlsmäßig in den Weg gestellt. Wir müssen<br />

uns, um in den Kategorien der idealistischen Philosophie zu sprechen mehr mit dem „Wesen“ des<br />

Nationalsozialismus befassen, als mit seinen „Erscheinungsformen“. Der Blick auf die Orte des<br />

Verbrechens darf nicht den Blick auf die Entstehung des Nationalsozialismus verstellen; Auschwitz<br />

darf nicht die Blickachse auf Schwabing, Wien, Worpswede und Weimar verbauen. Die Beschäftigung<br />

mit der Zeit vor 1933 ist wesentlich aufschlußreicher, als <strong>das</strong> Studium der Zeit zwischen 1933 und<br />

1945. 1933 hatte sich <strong>das</strong> deutsche Volk die Karten gelegt, von innen heraus war eine Umkehr nicht<br />

mehr möglich. Wenn man Strategien zur Vermeidung nationalsozialistischer Tendenzen entwickeln<br />

will, sind deshalb die Beschäftigung mit der Wanseekonferenz, mit den Verbrennungsöfen und<br />

Gaskammern oder mit dem Reichstagsbrandprozess vollkommen verlorene Zeit. Das Studium der<br />

Kartellierung und Planwirtschaft in der deutschen Wirtschaft, der elitaristischen Kulturrevolution und<br />

des neudeutschen Reformismus mit seinen lebensreformerischen Kapriolen sind dagegen der Mühe<br />

wert.<br />

Wir sind nun am Ende des Ausflugs in die deutsche Kulturgeschichte 1890 bis 1933 angelangt. Wenn<br />

man mit Hans Mommsens „Aufstieg und Untergang der Republik von Weimar“ vergleicht, so könnte<br />

man denken, es würde über zwei verschiedene Kontiniente in unterschiedlichen Erdzeitaltern<br />

berichtet. Dieser Eindruck entsteht durch eine völlig unterschiedliche Interpretation derselben<br />

stattgefundenen Ereignisse. Hans Mommsen hat die vulgärmaterialistische Verelendungs- und<br />

Verschwörungstheorie zu ihrem Abschluß gebracht, seine Bösewichter sind alte kaiserliche Richter,<br />

Generäle, Politiker und Beamte, so <strong>das</strong>s sein Ende der Republik von einem Hauch kaiserlichen Déjavu´s<br />

begleitet wird. Sein Resumee von Weimar erfolgt aus dem Blickwinkel der Jugendbewegung, die<br />

den bösen alten Kräften die Schuld am Untergang zuweisen möchte.<br />

In diesem Aufsatz wird der 100jährige Kampf demokratischer und elitaristischer Konzepte, sowie der<br />

Niedergang liberaler Wirtschaftsformen beschrieben, der 1933 den Sieg der in der Jugendbewegung<br />

großgewordener korporatistisch eingestellter Antidemokraten über die in Bratenröcke und Stehkrägen<br />

gewandeten demokratischen Methusalems der Weimarer Republik verursachte und begünstigte.<br />

Nun ist der Leser an der Reihe zu entscheiden, welche Interpretation logischer ist, sich mit den Fakten<br />

in besserer Übereinstimmung findet, mehr historische Rätsel löst und den Weg in die Zukunft leiten<br />

kann.<br />

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