Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik
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Der 7. Reichstag war wiederum so zusammengesetzt, daß mit Notverordnungen weiterregiert werden<br />
mußte, denn NSDAP und KPD hatten wie zuvor wieder die Hälfte der Stimmen bekommen.<br />
Tat- und Kraftmeierei<br />
Eine Woche nach der Wahl trat <strong>das</strong> Kabinett v. Papen zurück und Kurt von Schleicher wurde am<br />
2.12.1932 zum neuen Reichskanzler ernannt. Auf Schleichers Regierung trifft Pudder´s Gesetz zu:<br />
„Alles was gut beginnt, endet schlecht. Alles was schlecht beginnt, endet furchtbar.“<br />
Schleichers Konzept einer autoritären Regierung aus bündischen und korporatistischen Kräften, die<br />
sich auf Gewerkschaften, die Reichswehr, die bündische Jugend und den linken Flügel der<br />
Nationalsozialisten stützen sollte, die politischen Parteien also sehr konsequent ignorierte, ging nicht<br />
auf. Schleicher war besser im Intrigieren, als im Integrieren. Das Regieren klappte nicht, weil letztlich<br />
keine der überparteilichen Stützen der Gesellschaft in seine Regierung eintreten wollte.<br />
Mit der Berufung des Generals von Schleicher zum Reichskanzler hatte Hindenburg <strong>das</strong> Ende der<br />
Parteienherrschaft eingeläutet, denn Schleicher verfolgte im Gewande des Neokonservatismus ein<br />
reformistisches Konzept des Regierens an den Parteien vorbei, einer Vorherrschaft von bündischen<br />
Strukturen. Neokonservative Konzepte gab es bereits seit der Vorkriegszeit. Aber erst Reichskanzler<br />
v. Schleicher hatte die Gelegenheit, sie konsequent in Regierungshandeln umzusetzen.<br />
Ursprünge für <strong>das</strong> neokonservative Politikverständnis waren <strong>das</strong> Staatsverständnis der Stein-<br />
Hardenbergischen Reformen, die <strong>Romantik</strong>, der Korporatismus und ein gediegener Antikapitalismus.<br />
Die Tradition der <strong>Romantik</strong> steuerte zum Bilde des Neokonservatismus die handgewebte Leinwand<br />
mit tugend- und jugendbündlerischen Motiven bei, Nietzsche spendierte den elitaristischen Rahmen,<br />
Moeller van den Bruck, Oswald Spengler und Ernst Jünger trugen die roten und braunen<br />
vulgärsozialistischen Farben auf. Der antibürgerliche Impuls Nietzsches traf sich mit den expressiven<br />
Fronterlebnissen der Kriegsgeneration, mit tradierten antiwestlichen Vorurteilen und mit einem festen<br />
Glauben, daß im unverdorbenen Osten die Sonne aufgeht. In einer weiteren fundamentalen<br />
Begründung der konservativen Revolution, Hans Freyers "Revolution von rechts" wurde ein radikaler<br />
Wandel der Gesellschaft gefordert. Freyer sah eine Abkehr vom "alten Volk" der Vormoderne und von<br />
der Interessenstruktur der zeitgenössischen Standesgesellschaft. Der Begriff "Volk" und die dahinter<br />
vermutete Struktur erlangten eine pseudoreligiöse Dimension. Das Volk sei im traditionellen<br />
Verständnis "so etwas wie eine Weihnachtsbescherung" - zwar eine "Substanz unser selbst", doch<br />
unabhängig vom Willen der einzelnen. Nun werde <strong>das</strong> Volk ganz im Sinne des Aktivismus "Stoßkraft<br />
im Tageslicht des Geschehens". Überholt seien die alten Modelle Ständestaat, Körperschaftsidee,<br />
nachbarschaftliche Aufgliederung. Das revolutionäre Prinzip des Zeitalters sei "keine Struktur ...<br />
sondern es ist reine Kraft". 412 Diese Tat- und Kraftmeierei war reinster Nietzscheanismus.<br />
"Der gemeinsame Nenner dieser im einzelnen vielfältig divergierenden Strömungen bestand in<br />
dem Postulat, den abgelebten liberalen Kapitalismus durch einen national geprägten Sozialismus<br />
zu ersetzen, der den Traum der "Ideen von 1914" - die innere Geschlossenheit der Nation -<br />
realisierte und eine der deutschen politischen Tradition angemessene und gegen den westlichen<br />
Verfassungsstaat ausgerichtete Gesellschaftsform verhieß."<br />
So faßte Hans Mommsen den Neokonservatismus zusammen. Mommsen irrte im gleichen Atemzug,<br />
als er <strong>das</strong> kriegswirtschaftliche System Deutschlands nicht als eigenständiges ökonomisches System<br />
verstand und bemängelte, daß es sich bei Spengler nur um einen Sozialismus der Gesinnung<br />
handele, statt um eine ökonomische Theorie. Das fatale war, daß die Kriegswirtschaft und die aus der<br />
Kriegwirtschaft hervorgegangene Nachkriegswirtschaft eine eigene ökonomische Wirklichkeit<br />
darstellte, eine von den westlichen Verfassungsstaaten abweichende ökonomische Unterlage.<br />
Erst nach dem zweiten Weltkrieg und in Osteuropa erst in den 90er Jahren des 20.Jh. sollten der<br />
westliche Verfassungsstaat und der vermeintlich abgelebte liberale Kapitalismus ihren Siegeszug<br />
richtig beginnen, als die nationalen Sozialismen und die auf diesen Sozialismen aufsitzenden<br />
autoritären Diktaturen abgewirtschaftet hatten. In den zwanziger Jahren waren sich die Eliten, egal ob<br />
Konservative, Nationalsozialisten, Kommunisten oder gemäßigte Reformisten, sehr sicher, daß die<br />
konservative bzw. sozialistische Revolution bevorstehe. Diese auf einen langen Zeitraum bezogene<br />
Fehleinschätzung war nicht nur in Deutschland <strong>das</strong> Ergebnis eines Aufstands der Unanständigen, an<br />
412 Freyer, Revolution von Rechts, S. 53<br />
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