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Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

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Am 6. November wurde der russische Gesandte Joffe, der monatelang bolschewistische Wühlarbeit<br />

verrichtet hatte, aus Deutschland ausgewiesen: übrigens mit Billigung der Sozialdemokraten. Lenin<br />

schloß daraus:<br />

„Deutschland kapituliert vor der Entente und bietet ihr seine Dienste im Kampf gegen die russische<br />

Revolution an. Das ist des Rätsels Lösung.“ 221<br />

Es begann eine hektische Gesprächsoffensive der Bolschewiken. Am 14. November versuchten die<br />

Kommissare Tschitscherin und Radek die Unabhängigen Sozialdemokraten Cohn und Haase von<br />

einem Bündnis zu überzeugen, wobei sie Brot für Deutschland aus geplanten Beschlagnahmungen in<br />

der Ukraine anboten. Haase ließ die Kommissare abblitzen und riet ihnen, die angebotenen<br />

Getreidelieferungen lieber im eigenen Land bei der Bekämpfung des Hungers einzusetzen. Radek war<br />

tief beleidigt und nannte Haase einen Ju<strong>das</strong> Ischariot.<br />

Eine andere Allianz scheiterte nicht, nämlich die zwischen General Wilhelm Groener und Friedrich<br />

Ebert. Bereits am 10. November hatte Groener telefonisch seine Hilfe bei der Niederschlagung<br />

antidemokratischer Revolten angeboten, und Ebert ging unverzüglich darauf ein. Das Bündnis<br />

Friedrich Eberts mit General Groener war <strong>das</strong> Greifen nach einer Rationalität der Machtausübung, wie<br />

sie ein schwerfälliger Apparat wie eine Armee mit sich bringt. Dieser Apparat war in dem Moment wo<br />

er ge<strong>braucht</strong> wurde, jedoch schwer angeschlagen.<br />

Das Deutsche Heer löste sich auf dem Rückweg von der Westfront nach dem Grenzübertritt rasch auf,<br />

denn die Soldaten waren kriegsmüde. Als Notlösung ließ die Regierung am 9. Januar 1919 die<br />

Bildung von Freiwilligenverbänden zu. Die Zahl der Freiwilligen, die von 1918 bis 1921 die Brände<br />

löschten und beim Ludendorff-Lüttwitz-Putsch den Brand verursachten wird auf über 400.000<br />

geschätzt. 222 Das Personal der Freiwilligenverbände bestand überwiegend aus Berufssoldaten.<br />

Reformimpulse brachen und unterlagerten die traditionelle konservative Biografie in vielen Fällen. Es<br />

gilt der Satz: Je jünger, desto reformorientierter und desto weniger traditionell geprägt. Franz Ritter<br />

von Epp, Ernst von Salomon, Albert Schlageter, Hermann Ehrhardt, Friedrich Wilhelm Heinz, Manfred<br />

von Killinger, General Maercker und Gerhard Roßbach waren Berufssoldaten, die überwiegend aus<br />

Pfarrhäusern, von Gutshöfen und aus Offiziersfamilien kamen. Die Älteren gehörten mehr oder<br />

weniger zu den Stehkragen-Konservativen, die jüngeren waren den neuen expressiven Impulsen<br />

gegenüber sehr aufgeschlossen. Früher oder später, teilweise bereits vor der Machtübernahme,<br />

teilweise danach überwarfen sich fast alle mit dem Reformkind Hitler. Reine und glasklare<br />

Reformsozialisationen zeigten Ernst Jünger, der den Umweg über die Wandervogel-Bewegung<br />

machte, und Kurt Eggers, der ausgedehnte Ausflüge in die völkische Vereinslandschaft unternahm<br />

und sich als nationaler Theologie versuchte.<br />

Die sich als Elite verstehenden Freikorps räumten mit der sich ebenfalls als Elite verstehenden Vorhut<br />

der Arbeiterklasse auf. Heimatschutz war im Selbstverständnis der Jugendbewegung nicht nur<br />

Grenzschutz, sondern er umfaßte den Schutz des Brauchtums, der Landschaft und der Natur.<br />

Leitfigur und Stichwortgeber war wiederum F. Nietzsche:<br />

„Ihr sagt, die gute Sache sei es, die sogar den Krieg heilige?<br />

Ich sage euch: der gute Krieg ist es, der jede Sache heiligt.“<br />

General Maercker wiederum gehörte zu den klar dem alten konservativen Lager zuzuordnenden<br />

Individuen. Er hielt bei der Aufstellung seines freiwilligen Landjägerkorps 1919 folgende Ansprache:<br />

"Kameraden, ich bin ein alter Soldat. Ich habe drei Kaisern 34 Jahre lang treu gedient. Ich habe in<br />

fünf Kriegen und drei Erdteilen für sie gekämpft und geblutet. Ich liebe und verehre Wilhelm II.<br />

heute noch ebenso wie vor 34 Jahren, als ich ihm Treue schwor. Aber er ist heute nicht mehr mein<br />

Kaiser, sondern ein Privatmann. An die Stelle der kaiserlichen Regierung ist die des<br />

Reichskanzlers Ebert getreten. Sie ist gegenwärtig in schwierigster Lage, denn sie hat keinerlei<br />

Machtmittel. ... Es hat schon einmal in Preußen eine Zeit gegeben, in der solche Freikorps<br />

geschaffen wurden. Als vor 106 Jahren Preußen in ebensolcher Schande und tiefer Schmach<br />

darniederlag wie jetzt <strong>das</strong> Deutsche Reich, da fanden sich in Breslau unter dem Kommando des<br />

221 Lenin Werke Bd. 28, Dietz, 1959, S. 145<br />

222 Hauke Haien: Rüstung und Politik in den Konzeptionen der Kampfbünde und Wehrverbände in der Weimarer<br />

Republik, members.aol.com/haukehaien/weimar.htm<br />

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