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Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

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Oberfläche der Dinge gewidmet. Die Epidermis der Welt der Erscheinungen, wenn ich dies etwas<br />

kühne Bild hier brauchen darf. Aber die Eigenart unsers Volkes liegt letzten Endes auf anderm<br />

Gebiete. Vertiefung, Phantasie, Empfindung des Gemütes, man versteht mich vielleicht besser,<br />

wenn ich Namen nenne, Rethel, Menzel, Leibl, Boecklin, Marées - <strong>das</strong> scheint mir unsere Eigenart<br />

zu sein. Und wo fremde Einflüsse nicht nur verbessern, sondern von Grund aus umgestalten<br />

wollen, da liegt eine große Gefahr für unser Volkstum vor."<br />

"Wenn wir nun aber sehen, wie zum Beispiel neuerdings in Deutschland für flüchtige Studien van<br />

Goghs, selbst für solche, in denen ein Künstler die drei Dimensionen vermisst, Zeichnung, Farbe<br />

und Stimmung, 30- 40.000 Mark anstandslos bezahlt werden, wie nicht genug alte Atelierreste von<br />

Monet, Sisley, Pissarro und so weiter auf den deutschen Markt gebracht werden können, so muss<br />

man sagen, <strong>das</strong>s hier eine Überwertung vorzuliegen scheint, die <strong>das</strong> deutsche Volk nicht auf<br />

Dauer mitmachen sollte."<br />

Vinnens Streitschrift gipfelte in der Folgerung:<br />

"Zur Höhe wird ein Volk nur gebracht durch Künstler seines Fleisches und Blutes."<br />

Vinnes Protest wurde von 123 Künstlern unterstützt, darunter von den späteren Kriegsfreiwilligen Max<br />

Beckmann und Hans Ende, vom späteren Vorsitzenden des "Kampfbundes für deutsche Kultur" Fritz<br />

Mackensen, von der Stalinistensympatisantin Käthe Kollwitz, vom zukünftigen Emigranten Thomas<br />

Theodor Heine, vom Brücke-Kommunarden Schmidt-Rottluf und vom Symbolisten Franz von Stuck.<br />

Der "Protest deutscher Künstler" forderte auch Widerspruch heraus: Der Münchner Verleger Reinhard<br />

Piper veröffentlicht eine Erwiderung. Die Federführung lag bei dem Bremer Schriftsteller und<br />

Mitgründer des Insel-Verlages, Alfred Walther Heymel. Zum Herausgeberkreis gehörten die Maler<br />

Franz Marc, August Macke und Wassilij Kandinski. Im Juli 1911 erschien der Anti-Vinnen unter dem<br />

Titel: "Im Kampf um die Kunst. Die Antwort auf den "Protest Deutscher Künstler":<br />

"Es gibt nur eins, womit Ihr Protest nichts zu tun hat, und <strong>das</strong> ist die Kunst, für manchen eine Frau,<br />

und für andere eine heissumworbene Geliebte. Man kann aber auch eine Markthalle daraus<br />

machen....“<br />

kommentierte Max Pechstein die Diskussion über <strong>das</strong> liebe Geld für Ankäufe. Max Slevogt setzte sich<br />

mit der deutschen Tiefe der Anschauung auseinander:<br />

"Das alarmierende Wort macht nachdenklich. Ich fürchte, soll<br />

wieder einmal so viel heißen, wie im Leiterwagen fahren, wenn alle Welt im Auto fährt. Ich fürchte,<br />

es handelt sich um eine blasse Ängstlichkeit vor Fortschritt, vor Freierem. Angst der russischen<br />

Bärte vor der Kulturschere. Angst um Güter, die wir noch garnicht besitzen!"<br />

Der Herausgeber Heymel verfasste <strong>das</strong> Schlusswort und verhedderte sich in der modischen<br />

Rassenlehre.<br />

"Waren die drei großen einsamen Niederländer Breughel und Rembrandt und neuerdings van<br />

Gogh, etwa keine Deutschen? Gibt es in der Malerei und in der Kunst überhaupt<br />

Landkartengrenzen? Ist nicht <strong>das</strong> Ausschlaggebende <strong>das</strong> Rassen-Empfinden? (...) Wer von Talent<br />

kann heute noch in Europa von sich sagen, ich bin Germane, ich bin Romane, ich dies, ich <strong>das</strong>." 70<br />

Spiegelbildlich wiederholte sich der ganze Vorgang in Frankreich: Der Ausländer Picasso wurde als<br />

Verführer der französischen Künstlerjugend angefeindet. Der mit allen geschäftsfördernden Wassern<br />

gewaschene Picasso wusste seinen Wert als Maler raffiniert zu steigern; so wie Bob Dylan nie in einer<br />

Hitparade platziert war und im Radio so gut wie nicht gespielt wurde, um dagegen die metaphysische<br />

akustische Kulisse von revolutionären Untergrundversammlungen abzugeben, so mied Picasso die<br />

Galerien und Kunstausstellungen. Sein gerissener Galerist Kahnweiler zeigte ausgewählten<br />

Kunstfreunden in verschwörerischer Manier die Werke Picassos in Fotoalben; es handelte sich um<br />

Bückware aus der untersten Schublade des Ladentischs.<br />

70 Radio Bremen, Fachredaktion Kultur / Feature, Redaktion: Michael Augustin, Sendedatum: 20.10.02<br />

Nordwestradio<br />

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