15.11.2012 Aufrufe

Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Kessler kannte Pilsudski bereits aus seiner Offizierszeit an der russischen Front 1915. Pilsudski<br />

sprach damals mit ihm über die Notwendigkeit des Zusammenschlusses von Galizien und<br />

Kongreßpolen aber bekräftigte damals nicht den Anspruch auf Westpreußen wie auch auf Poznanien.<br />

Beide konnten jedoch nicht voraussehen, <strong>das</strong>s die Westmächte im Falle einer deutschen Niederlage<br />

dem polnischen Staat Westpreußen offerieren würden. Interessant ist auch die Feststellung<br />

Pilsudskis, notiert durch Kessler über die Notwendigkeit gutnachbarschaftlicher Beziehungen zu<br />

Deutschland. Kessler notierte in <strong>das</strong> Tagebuch:<br />

"Für jedermann indessen ist es die Hauptsache, daß Deutsche und Polen ihre alten Feindlichkeit<br />

vergessen, sogar Freundschaft lernen wie zwischen Nachbarn, und schließlich klüger werden".<br />

Die Sache der Unabhängigkeit Polens wurde zum ersten Mal in der internationalen Arena in der<br />

Deklaration der Kaiser von Deutschland und Österreich-Ungarn am 5. November 1916 erwähnt. Diese<br />

Deklaration war eine klare Kundgebung, <strong>das</strong>s Polen nicht Poznanien und Westpreußen umfassen<br />

würde.<br />

Während der Waffenstillstandsverhandlungen sandten die deutschen Räte Kessler am 31. Oktober<br />

1918 nach Magdeburg, um den Standpunkt Pilsudskis gegenüber Deutschland zu sondieren. Wie er<br />

in sein Tagebuch schrieb, meinten die deutschen Räte, <strong>das</strong>s General-Gouverneuer von Beseler seine<br />

Macht verlieren würde und hofften, daß „die Katastrophe in Polen nur verhindert werden könnte durch<br />

einen Volkshelden". Kessler sollte bewirken, <strong>das</strong>s Pilsudski dem Chef des deutschen Stabes, General<br />

Hoffmann seine Unterschrift geben würde, keine Aktionen gegen Deutschland zu unternehmen.<br />

Kessler – wie er in sein Tagebuch schrieb - missbilligte den Plan einer solchen Deklaration. Gemäß<br />

der Erinnerung von Pilsudskis Mitgefangenen Sosnkowski sprach Kessler mit Pilsudski über die<br />

Grenzen. Er drückte sein Verständnis für den Anspruch der Polen auf Poznanien aus, aber der<br />

Verbleib von Gdansk und Slask bei Deutschland sei eine Bedingung sine qua non. Darauf entgegenet<br />

Pilsudski "non possumus. Ihr haltet mich im Gefängnis, ihr könnt mir keine Bedingungen stellen.“ Es<br />

war wohl nicht nur Zufall, <strong>das</strong>s am 8. November 1918, dem Tag, an dem Kessler zum zweiten Mal zur<br />

Magdeburger Zitadelle ging, ein deutscher Feldwebel Pilsudski und Sosnkowski die Zeitung Die<br />

Woche übergab. Es war dort auf der ersten Seite ein großes Porträt Pilsudskis mit der Unterschrift<br />

General Pilsudski, der neue Oberbefelshaber der polnischen Armee abgedruckt. Kessler füllte seine<br />

Mission aus. Begleitete Pilsudski mit Sosnkowski nach Berlin und brachte sie ins Hotel Continental. Im<br />

Continental sprach Kessler noch einmal mit Pilsudski über die Grenzen. Er konnte schlecht von<br />

Pilsudski erwarten, <strong>das</strong>s er die westlichen "Geschenke" der Entente nicht annehmen würde. Und er<br />

warnte vor der Wegnahme Westpreußens, weil <strong>das</strong> Rache herausfordern würde. Aber jeder blieb bei<br />

seinem Standpunkt. Als Kessler Pilsudski und Sosnkowski nach Warschau verabschiedete, war in<br />

Deutschland die Revolution ausgebrochen. 280<br />

Eine Plattform der Rache für die neue Grenzziehung war die Reichstagswahl von 1920 bis 1922.<br />

Oberschlesien und Ostpreußen zeigten entsprechend ein katastrophales Wahlergebnis für die<br />

Sozialdemokraten und einen enormen Sieg der Konservativen und Kommunisten. Während die<br />

Sozialdemokraten und <strong>das</strong> Zentrum im Reich 17,7 % verloren und die Konservativen und<br />

Kommunisten zusammen 6,9 % gewannen, so verloren die ersteren in Ostpreußen, wo die Wahlen<br />

wegen der Volksabstimmung erst 1921 stattfanden, (also nach dem russisch-polnischen Krieg) 22,8 %<br />

gegenüber 1919; Konservative und Kommunisten gewannen erdrutschartig 26,4 % gegenüber 1919<br />

hinzu. Lenin hatte bereits im September 1920 kurz nach dem fehlgeschlagenen Polenfeldzug vom<br />

Juli/August 1920 auf einer internen Parteikonferenz erwähnt, <strong>das</strong>s sich in Ostpreußen beim<br />

Herannahen der Roten Armee ein Block von extremen Nationalisten und Kommunisten gebildet habe,<br />

„und dieser widernatürliche Block war für uns.“ 281 Daß diese Einschätzung nicht aus der Luft gegriffen<br />

war, zeigte sich am 21er und 22er Wahlergebnis.<br />

Die Umverteilung der Stimmen unter den verschiedenen Nachfolgeparteien der SPD und die negative<br />

Gesamtbilanz dieser Linksparteien zeigt die folgende Tabelle.<br />

280 Anna M. Ciencala: Jozef Pilsudski i niepodleglosc Polski<br />

281 Gerd Koenen: Der Russland-Komplex, C.H.Beck, S. 285<br />

190

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!