Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik
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Träger der roten Armbinde war. 204 Er ließ sich mehrfach zu einem der Vertrauensleute seines<br />
Regiments wählen. Ein Foto aus dieser Zeit zeigt Hitler im Trauerzug für den ermordeten Kurt<br />
Eisner. 205 Hunderte Revolutionsteilnehmer wurden bei der Wiederherstellung der Ordnung in<br />
überschießendem Eifer erschossen, Hitler überlebte. Vor diesem Hintergrund erscheint die<br />
Räterepublik im Gegensatz zur politischen Klasse der frühen Weimarer Republik als konzentrierter<br />
Ausfluß der Reform- und Jugendbewegung. Elitarismus, Expressionismus, Vagabundismus waren die<br />
Bausteine und <strong>das</strong> faszinierende und eigentlich logische ist: die durch die Spätkaiserzeit vorgeprägten<br />
Massen folgten den amorphen Ideen der Revolutionsführer eine Weile lang. Zumindest einige<br />
Augenblicke lang, solange es nicht lästig wurde, erschien dem Volk die bunte Republik als ein<br />
natürliches Glied in der geschichtlichen Abfolge. Ein weiteres Zufallsfoto zeigt Adolf Hitler im Winter<br />
1919 als Teilnehmer einer revolutionären Versammlung. Links und Rechts hatten sich nicht wirklich<br />
geschieden, gerade in der Revolution zeichnet die simple Links-Rechts-Schablone kein zutreffendes<br />
Lagerpanorama. Die Räterepublik stand unter dem unausgesprochenen Motto: „Elitaristen aller<br />
Länder, vereinigt Euch!“<br />
Der harte gewerkschaftlich organisierte Kern der SPD blieb explizit elitaristischen Überzeugungen<br />
unzugänglich, am intellektuellen Rand bröckelte die Führung wie auch die Basis. Neben<br />
Parteiintellektuellen wurden beim Auseinanderbrechen der SPD auch viele Arbeiter zur USPD und<br />
KPD mitgerissen. Viele Mitglieder der frühen KPD waren vorher Mitglieder der SPD gewesen.<br />
Thälmann trat 1903 in die SPD ein, 1918 in die USPD und 1920 in die KPD. Wilhelm Pieck war seit<br />
1895 SPD-Mitglied, 1916 USPD- und Spartacus-Mitglied, 1918 erfolgte der KPD-Beitritt. Franz<br />
Dahlem war seit 1910 in der SPD aktiv, seit 1917 Mitglied der USPD und seit 1920 der KPD. Die<br />
Aufzählung ließe sich umfangreich erweitern. Personell läßt sich eine Genese der KPD aus der SPD<br />
herleiten, ideologisch kam es zwischen 1900 und 1920 zu einem Paradigmenwechsel auf beiden<br />
SPD-Flügeln. Der eine wurde egalitär-revisionistisch und ließ sich auf <strong>das</strong> parlamentarische System<br />
ein, der andere elitaristisch und antiparlamentarisch.<br />
Der Übertritt von der SPD zur USPD war ein Massenphänomen; wie man an den obigen Namen sieht,<br />
waren auch viele Arbeiter unter den Überläufern. Ein besonders interessantes Phänomen ist jedoch,<br />
<strong>das</strong>s fast alle Parteiintellektuellen zu den Unabhängigen übertraten, während die gewerkschaftsnahen<br />
„Ökonomisten“ in der SPD verblieben. Zu den zur USPD übergetretenen Intellektuellen gehörten Karl<br />
Kautsky, der 1920 von Lenin heruntergeputzt wurde 206 , Eduard Bernstein, der 1920 aus der USPD<br />
ausgeschlossen wurde und wieder in die SPD eintrat, Rudolf Breitscheid, der ebenfalls zur SPD<br />
zurückkehrte, der Theaterkritiker Kurt Eisner, Rosa Luxemburg, die zu den Spartakisten abdriftete und<br />
Georg Ledebour. Letzterer brachte es zum Vorsitzenden der USPD.<br />
Auch nach der Abspaltung der USPD/KPD kam es nicht zu einer wirklich tiefgreifenden Abgrenzung<br />
der SPD von stark reformistischen Einflüssen. Es war, als entstünden im Reagenzglas der Partei<br />
durch Urzeugung immer neue Ungeheuer: Der „Hofgeismarer Kreis“ des Nationalbolschewisten Ernst<br />
Niekisch entwickelte nach 1923 schwärmerisch-phantastische Ideen von der Neugeburt der deutschen<br />
Nation und des Reiches aus dem „Geist von Potsdam“. August Bebel, der erklärtermaßen keinen<br />
Mann und keinen Groschen für <strong>das</strong> Potsdamer System hergeben wollte, hätte sich im Grabe<br />
herumgedreht. Gestützt auf die „Aristokratie der Arbeit“ sollten die Klassen durch die wahrhaft<br />
nationale Volksgemeinschaft vernichtet werden. Das Rebellentum gegen den „Geist von Locarno“<br />
müsse erweckt werden, die Zurückeroberung einer großen einflussreichen Weltstellung sei <strong>das</strong> Ziel.<br />
Niekisch wurde nicht ausgeschlossen, sondern verließ 1926 die SPD auf eigenen Wunsch.<br />
Wir hatten eben die sehr unterschiedlichen Temperamente der Münchner Räterepublikaner erwähnt.<br />
Eisner, Mühsam, Dr. Lipp, Gesell, Axelrod, Hitler, Niekisch, Lewien und Toller verband nur eine sehr<br />
verschwommene Vorstellung vom neuen <strong>Menschen</strong> und einer neuen Zeit und der Wunsch in diese<br />
neue Menschheitsperiode einzutauchen. Wenn man letzteres nicht versteht, so versteht man weder<br />
die Novemberrevolution noch die Weimarer Republik. Die von der Front und von den Schlachtschiffen<br />
nach Hause strebenden Soldaten waren naturgemäß soziologisch zusammengewürfelt und 18 bis<br />
etwa 50 Jahre alt. Diese männliche Jugend kam nun nachdem sie des langen Kriegs müde geworden,<br />
auf dem Wege nach Hause an einer Revolution von Literaten, Theaterkritikern, Malern und Poeten<br />
vorbei. Die Hoffnung dieser Kunstbeflissenen: Vielleicht ließ sich neben Russland wenigstens<br />
Deutschland auf den Pfad des Idealismus, einer ganzheitlichen geistigen Gesellschaft trimmen, wenn<br />
dieser Versuch auch zunächst militärisch gescheitert war.<br />
204 J. Fest: Hitler, Ullstein, S. 136<br />
205 www.LEX.donk.de: Adolf Hitler<br />
206 In der Schrift: Die proletarische Revolution und der Renegat Kautsky<br />
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