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Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik

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„Der Krieg ist eine scheußliche Sache, aber trotzdem etwas Gewaltiges. Das durfte ich auf keinen<br />

Fall versäumen. Man muß den <strong>Menschen</strong> in diesem entfesselten Zustand gesehen haben, um<br />

etwas über den <strong>Menschen</strong> zu wissen.“ 64<br />

Dix wusste hinterher noch weniger über den <strong>Menschen</strong>, als vorher.<br />

Der Anteil der kriegführenden Expressionisten wäre noch höher gewesen, wenn nicht viele Ausländer,<br />

Frauen oder zu alt gewesen wären. Für Kandinsky, Werefkin, Jawlensky, Feininger und Münter war<br />

die Meldung an die Front wegen feindlicher Staatsbürgerschaft schlicht nicht möglich, Rohlfs und<br />

Corinth waren viel zu alt zum Kriegsspielen.<br />

Nachdem der Expressionismus 1932 als Mode ausgedient hatte, verwendete der völkische Adolf Hitler<br />

ein expressionistisches Wahlplakat. Wollte Hitler mit diesem Plakat, <strong>das</strong> inhaltlich dem obligaten<br />

Führerkult verschrieben war, 1932 in ein fremdes ästhetisches Territorium und damit in ein fremdes<br />

Wählerpotential eindringen? Immerhin ist es nicht grau-in-grau, sondern braun-in-braun gehalten.<br />

Hitler selbst malte etwas mehr impressionistisch, als expressionistisch. Das beweisen im „Stern“<br />

abgedruckte Flandern-Bilder Hitlers, die hier aus rechtlichen Gründen nicht wiedergegeben werden.<br />

Das blieb eine Eintagsfliege. Hitler malte selbst impressionistisch was er sah; mit einem kleinen<br />

expressionistischen Anflug, was er fühlte; mehr fühlte er sich als reifer Politiker zu den sozialistischen<br />

Realisten hingezogen, welche lieber malten, was sie hörten.<br />

Politisierung der elitären Kunst<br />

Im Werk von Käthe Kollwitz hatte sich bereits 1899 eine verwirrende Episode der Gewalt offenbart, die<br />

man politisch deuten konnte. In Ihrem Bild „Aufruhr“ waren alle Waffengattungen verteten, von der<br />

archaischen Hellebarde über die Sense, die Axt bis zum frühen Maschinengewehr. Auf einem Hügel<br />

im Hintergund brennt ein Gebäude, aber die Fanatiker scheinen von diesem Gebäude herzukommen.<br />

Ihr Tatendurst hatte sich dort offensichtlich noch nicht erschöpft.<br />

Nietzsche, Wagner und George hatten die Politisierung der Kunst abgelehnt, da diese dabei mit der<br />

Masse oder zumindest mit unwürdigen Individuen in Berührung käme.<br />

„Einst war der Geist Gott, dann wurde er zum <strong>Menschen</strong> und jetzt wird er gar noch Pöbel“. 65<br />

Bereits in der Spätkaiserzeit bekam der von den reformistischen Patriarchen zwischen Kunst und<br />

Politik aufgerichtete Damm feuchte Stellen und kurz vor dem Krieg erste Risse. Im Weltkrieg brach er.<br />

Die erste expressionistische Zeitschrift, die sich offen politisch bekannte, war die „Aktion“, die den<br />

Untertitel „Wochenschrift für Politik, Literatur und Kunst“ trug und seit 1911 erschien. Sie ließ vor dem<br />

Krieg eine große Bandbreite der Meinungen zu und schwenkte nach dem Weltkrieg wie viele andere<br />

Kulturpublikationen auf eine linkselitaristische Richtung ein, <strong>das</strong> heißt sie wurde für Wandervögel<br />

geschrieben, die sich mit Marx im Schnellkurs beschäftigt hatten, oder über Dritte von ihm gehört<br />

hatten.<br />

Die politischen Gedanken waren am Vorabend des Weltkriegs in der Elitaristenszene auf dem<br />

Vormarsch, auch wenn sie sich nicht unmittelbar parteipolitisch demaskierten.<br />

„Im Milieu des gingen künstlerische und politische Revolution nahtlos ineinander über. Die<br />

Kunst entdeckte ihr Potential als visuelle Propagandamaschine; Der Aufstand wurde auf der Leinwand<br />

geprobt. Diese Neudefinition von Kunst als erneuernde gesellschaftliche Funktion wirkte auf die<br />

Ideologien nicht nur des Dadaismus und des Bauhauses, sondern auch des Dritten Reiches.“ 66 Im<br />

Weltkrieg setzte sich die Indienststellung der Kunst fort. Nach dem Krieg wurden gerade die<br />

schlimmsten Kriegshetzer oft bekennende Sozialisten, Kommunisten oder Pazifisten. Das war keine<br />

spezifisch deutsche Erscheinung, sondern eine mitteleuropäische.<br />

64 s.o. S. 28 ff<br />

65 F. Nietzsche: Die Reden Zarathustras, Vom Lesen und Schreiben<br />

66 Kunst der Weimarer Republik. Meisterwerke der Nationalgalerie, Du Mont, 2004<br />

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