Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik
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Tabuzonen. Er hat hunderte Zitate aus der Welt der Freikorps und der Jugendbewegung<br />
zusammengetragen, hunderte Literaturstellen gesucht und gefunden, die einfachste Lösung jedoch<br />
ausgespart. Zarathustra und Nietzsche sind für Theweleit ein fremdes Territorium, um sich in seiner<br />
Begrifflichkeit auszudrücken.<br />
Es waren weniger libidinöse Wünsche, als eine Gewalts- und Männlichkeitsreligion, die den<br />
Zusammenhang von Schwulheit und Reformismus schuf. Im Zarathustra gehören Gewalt gegen<br />
Schwache, Vergötterung des Gesunden, Verachtung für die Frau und Kult der Gewalt und des<br />
Krieges in einen elitaristischen Zusammenhang. Diese Vergötzung des Männlichen, Fröhlichen und<br />
Gewalttätigen, diese dezidierte Herabwürdigung der Frau musste auf Dauer die Ausbreitung der<br />
Homoerotik fördern. In dem Moment, wo sich die Kulturbeflissenheit bewusst in Männerfreundschaften<br />
und Männerbünden entlud, wuchs die Gefahr, <strong>das</strong>s es zu körperlichen Kontakten der Geistigen käme.<br />
Von den Orten, wo Frauen fehlten, von Schiffen, Kasernen und Zuchthäusern ganz zu schweigen.<br />
Wo war die Madame de Stael, wo waren Charlotte von Stein, Angelika Kaufmann, Anna Amalia, Maria<br />
Theresia, die Günderode, Bettina von Arnim, Annette von Droste-Hülshoff, Marie-Antoinette, die Frau<br />
von Göchhausen des 20. Jahrhunderts? Wo waren um die Jahrhundertwende die selbstbewussten<br />
Frauen geblieben? In einem Moment, wo <strong>das</strong> Frauenwahlrecht eingeführt wurde, war der Einfluß von<br />
Frauen im deutschen Politik- und Kulturbetrieb auf den historischen Tiefpunkt gesunken. Rosa<br />
Luxemburg wurde noch schnell ermordet, so <strong>das</strong>s Käthe Kollwitz, Clara Vieweg, Clara Zetkin, Else<br />
Lasker-Schüler und Ricarda Huch in einem sich ständig ausdehnenden Meere von dichtenden,<br />
politisierenden, malenden und komponierenden Männern fast allein zurückblieben. Die Tendenz der<br />
zurückgehenden Zahl von Frauen als Dichterinnen, Politikerinnen und Schriftstellerinnen hatte sich<br />
bereits im ganzen 19. Jahrhundert verstärkt; als Nietzsche die Frau endlich in den Kuhstall stellte,<br />
hatte sie den Zenit ihres Einflusses längst überschritten. In der Literatur des ausgehenden 19.<br />
Jahrhunderts wurde ihre Rolle neu definiert: Wedekind beschreibt seine Lulu als wildes schönes Tier,<br />
und Clara Vieweg biologisierte die werktätige Frau bis zur animalischen Stilisierung:<br />
„Ihre Pupillen vergrößerten sich, ihre geschmeidigen Glieder duckten sich zum Sprung, nun<br />
tauchte ihr Gesicht mit den zitternden Nasenflügeln dicht vor dem seinen auf – ein Kuß und ein Biß<br />
brannten auf der Wange...“<br />
Eine ähnliche Rolle spielte die fünfzehnjährige Marcella im Kreis der „Brücke“-Kommunarden.<br />
Wenigstens wurden Frauen im biologistischen Milieu nicht ignoriert, aber <strong>das</strong> ihnen zugestandene<br />
Aktionsfeld lag zweifelsfrei nicht auf intellektuellem Gebiet. Dem gefühlsbetonten Geist der Zeit<br />
entsprechend wurde die weibliche Lust aus ihrem natürlichen nervlichen Zusammenhang mit dem<br />
Gehirn herausdestilliert, verselbständigt, aufgebauscht und überhöht. Das waren wohl die Katzen, die<br />
Nietzsche erwähnte.<br />
Besonders <strong>das</strong> Damenheer des Kgr. Dahomey beflügelte die männliche Phantasie. Es gibt erstaunlich<br />
viele Fotos und Zeichnungen von dieser goodfashioned Truppe.<br />
George Grosz stellte in „Der Schuldige bleibt unerkannt“ die Frau als Täterin dar, die als Prostituierte<br />
ihre Macht über die Freier ausspielt, 142 seine Frau stellte er in „Daum marries her pedantic automation<br />
george in may 1920, john heartfield is very glad of it“ als aufreizende sexuelle Provokateurin dar, sie<br />
schaut im wahrsten Sinne des Wortes etwas blöd aus der Wäsche. Geil und möglichst doof, so wollte<br />
<strong>das</strong> der reformistische Mann.<br />
Auch im ach so progressiven Bauhaus herrschte dank den dort zelebrierten Werten von Friedrich<br />
Nietzsche reformistische Frauenfeindlichkeit. Gropius verortete in seiner allgemeinen ahistorischen<br />
Formen- und Raumlehre <strong>das</strong> Dreieck, die Farbe rot und den Geist bei der Männlichkeit, <strong>das</strong> Quadtrat,<br />
die Farbe blau und die Materie bei den Weibern. „Klee definierte <strong>das</strong> Genie selbstverständlich als<br />
männlich, als er es 1928 in der Zeitschrift „bauhaus“ mit „zeugung“ verglich. Er stand damit in einer<br />
Denktradition für die, ausgehend von Nietzsche, Schöpfertum und Männlichkeit weitgehend identisch<br />
waren.“ 143 In Weimar und Dessau waren Männer Kulturwesen und Frauen Naturwesen. Folglich<br />
verfrachtete der Meisterrat die Frauen in die Webereiwerkstatt, die als „Frauenabteilung“ geführt<br />
wurde. Aus dieser Rollenverteilung kam man als Frau nur – typisch für sozialistische Systeme – mit<br />
Protektion heraus. Im Bereich Bau und Ausbau gab es unter den Absolventen folglich nur vier<br />
Schneewittchens unter hunderten Zwergen.<br />
142 Dietmar Elger, Dadaismus, S. 48<br />
143 Magdalena Droste, Bauhaus, Taschen, 2007<br />
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