Wolfgang Prabel Neue Menschen braucht das ... - Klassik & Romantik
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Kurz nach der Wahl machte Reichskanzler Brüning am 5. Oktober einen folgenschweren taktischen<br />
Fehler. Er lud Hitler, Göring und Frick zu Sondierungsgesprächen über eine Teilnahme an der<br />
Regierung ein. Ab nun sprach jeder mit Hitler oder mit den revolutionären Strasser-Twins über<br />
Regierungsbeteiligungen. Das Gespräch selbst verlief für Brüning fruchtlos, für Hitler war es ein<br />
Erfolg, denn sein Ansehen stieg.<br />
Welche Distanz bestand zu Hitler ?<br />
„Gegen eine Dummheit, die gerade in Mode ist, kommt keine Klugheit auf“, hatte bereits Theodor<br />
Fontane bemerkt. Und hinterher waren alle schlauer, nicht nur in Deutschland, sondern auch im<br />
Ausland. Deutsche Politiker luden Hitler von 1930 bis 1933 immer wieder zu Koalitionsgesprächen ein,<br />
die französische Nationalmannschaft grüßte Hitler bei der Olympiade mit dem Olympischen Gruß,<br />
welcher dem Deutschen Gruß entsprach, und die internationale Gemeinschaft suchte Hitler mit der<br />
Draufgabe des Sudetenlandes beim Münchner Abkommen zu besänftigen. Woran lag es, daß die<br />
Distanz zu Hitler so gering war, daß national und international die Befriedungspolitik überwog?<br />
Hitlers Marsch auf die Feldherrenhalle, seine SA-Schlägertrupps und seine antisemitischen Ausfälle<br />
waren weder im In- noch im Ausland ein Geheimnis. Reichte <strong>das</strong> aus, um ihn und seine Bewegung zu<br />
ächten?<br />
Man sollte analysieren, welche Schnittmengen es mit anderen Parteien gab. Viele Zielstellungen der<br />
nationalsozialistischen Bewegung waren auch die Ziele der reformistischen, konservativen und<br />
sozialistischen Parteien.<br />
In der Außenpolitik gab es kaum Unterschiede. Die Zusammenarbeit mit Rußland (um Polen zu<br />
ruinieren) wurde von den Kommunisten über die Sozialdemokraten, Reformisten, Konservativen bis zu<br />
den Nationalsozialisten angestrebt und soweit man in der Regierung vertreten war auch praktiziert.<br />
Das Rapallo-Abkommen wurde ausgerechnet unter dem Zentrums-Kanzler Wirth abgeschlossen.<br />
Einig waren auch alle Parteien über die Revision des Versailler Vertrages. Hitler unterschied sich nur<br />
im Tonfall, aber nicht in der Sache. Otto Wels von derSPD begann seine berühmte Rede im Reichstag<br />
am 23. März 1933 nicht umsonst so:<br />
"Der außenpolitischen Forderung deutscher Gleichberechtigung, die der Herr Reichskanzler<br />
(gemeint ist A. Hitler) erhoben hat, stimmen wir Sozialdemokraten um so nachdrücklicher zu, als<br />
wir sie bereits von jeher grundsätzlich verfochten haben. Ich darf mir wohl in diesem<br />
Zusammenhang die persönliche Bemerkung gestatten, daß ich als erster Deutscher vor einem<br />
internationalen Forum, auf der Berner Konferenz vom 3. Februar des Jahres 1919, der Unwahrheit<br />
von der Schuld Deutschlands am Ausbruch des Weltkrieges entgegengetreten bin."<br />
In der Leugnung der Schuld Deutschlands am Weltkrieg waren sich Sozialdemokraten und<br />
Nationalsozialisten offensichtlich einig und alle Parteien dazwischen sowieso.<br />
In der Wirtschaftspolitik gab es ebenfalls keine gravierenden Unterschiede, wie der Umstand beweist,<br />
daß die Wirtschaftspolitik aus den zwanziger Jahren in den dreißiger Jahren im wesentlichen<br />
fortgesetzt wurde. Das gemeinwirtschaftliche Konzept wurde von allen Parteien getragen, außer der<br />
KPD. Das Schuldenmachen wurde in den Dreißigern und Vierzigern verstärkt, der Anteil der<br />
Staatsindustrie wurde etwas vergrößert und die Zwangskartellierung wurde insofern verdeutlicht, als<br />
die Betriebsleiter nun Betriebsführer genannt wurden. Das waren aber mehr Verfeinerungen des<br />
bestehenden Wirtschaftssystems. Betriebe wurden im Rahmen der Kartelle schon vor 1933 autoritär<br />
geführt, der Unterschied zur Republik war nach der NS-Machtübernahme mehr atmosphärisch und<br />
symbolisch. Karl Marx hätte gesagt: der autoritäre Unterbau sucht sich einen autoritären Überbau.<br />
Hier ist genau die richtige Stelle erreicht, den nationalsozialistischen Antikapitalismus zu verstehen.<br />
Verstehen setzt zunächst voraus, eine verbreitete Denkgewohnheit beiseite zu schieben: die<br />
Gleichsetzung von Privateigentum und Kapitalismus. Nur die Kommunisten wollten die<br />
"Expropriateure expropriieren", die Ausbeuter enteignen. Die Reformparteien, <strong>das</strong> Zentrum und die<br />
Konservativen wollten <strong>das</strong> Privateigentum beibehalten. Die Sozialdemokraten wollten Privateigentum,<br />
außer für die Großindustrie und die Nationalsozialisten wollten Privateigentum, außer für die Juden.<br />
Das bedeutet jedoch keineswegs, daß alle, die <strong>das</strong> Privateigentum wollten, automatisch den<br />
Kapitalismus wollten. Die Sozialdemokraten wollten einen Sozialismus mit einem Mischsystem aus<br />
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